Frischzellenkur für Schneewittchen & Co.

Märchen-Boom in Hollywood

Das Kino war immer schon Hort der Märchen. Von den ersten Stummfilmzaubereien eines Georges Melies hin zur digitalen Schaubühne von George Lucas wird die Leinwand dominiert von Prinzessinnen und heldenhaften Jünglingen, vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse.

Aktuell feiern im Besonderen die klassischen Märchen von den Brüdern Grimm bis Hans Christian Andersen eine Renaissance in der Popkultur. Musiker und Schriftsteller, Videospiel-Designer und Comic-Autoren entdecken die Universen von Aschenputtel und Dornröschen für sich neu - und unterziehen sie einer Frischzellenkur.

Das Kino spielt beim Märchen-Revival selbstverständlich eine zentrale Rolle: Erst vor wenigen Wochen ist die romantische "Schneewittchen"-Komödie "Mirror, Mirror" in den heimischen Kinos angelaufen. Jetzt steht schon die nächste zeitgenössische Adaption in den Startlöchern: "Snow White & the Huntsman" inszeniert das Märchen der Brüder Grimm als grimmige "Gothic Fantasy", besetzt mit Kristen Stewart und Charlize Theron.

Raus aus den Kinderzimmern

Es ist ein düsteres Universum, in das man in "Snow White and the Huntsmen" verschleppt wird: Teilstücke davon erkennt man aus Kinderbüchern und Zeichentrickmärchen wieder. Die eitle Königin, das holde Schneewittchen, die aufmüpfigen Zwerge. Die Welt, in der sie sich bewegen, hat sich allerdings verändert, hat sich angepasst an eine neue Kinogänger-Generation.

Erfolge wie die "Harry Potter"-Verfilmungen haben die Welt der Märchen für Jugendliche wieder interessant gemacht und die Originalstoffe damit auch aus dem Ghetto der Kinderzimmerliteratur befreit. Statt kunterbunten Figuren und Musical-Einlagen regieren Verunsicherung und Angst das "Es war einmal"-Land.

Die von Charlize Theron gespielte Königin in "Snow White and the Huntsmen" saugt ihren jugendlichen Opfern das Leben aus dem Leib. Um Unsterblichkeit zu erlangen, muss sie das Herz der Schönsten des Königreichs verspeisen. Und das ist bekanntlich Schneewittchen. Auf der Flucht vor den Jägern der Königin - den "Huntsmen" aus dem Titel - stolpert sie durch einen dunklen Wald voller grausiger Kreaturen.

"Snow White & the Huntsmen" vom britischen Regisseur Rupert Sanders vermählt klassische Märchenelemente mit modernen Fantasy-Stilmitteln. Die schauergotischen Horrorlandschaften eines Tim Burton erkennt man darin ebenso wieder wie die epische Heldenreise aus dem "Herrn der Ringe". Das Endergebnis ist eine originalgetreue Adaption, die konventionellen Märchen-Interpretationen gegensteuert.

Zwischen wirklicher und Comic-Welt

Die Neukonfigurierung klassischer Vorlagen passt hervorragend zur vorherrschenden Hollywood-Produktionslogik. Anstatt das Publikum mit originären Kreationen herauszufordern, setzen viele Studios auf modernisierte, dem Zeitgeist angepasste Gassenhauer - Stoffe mit einem sogenannten "eingebauten" Publikum, einem gewissen Grundwissen also, auf das die Marketing-Strategen dann ihre Kampagnen bauen können. Im Fall von "Snow White & the Huntsmen" hantiert die Werbelinie ganz bewusst mit dem unorthodoxen Tonfall des Films und reiht sich damit in die Stoßrichtung der aktuellen Märchen-Renaissance ein.

Wie viele andere Trends der Filmindustrie hat diese ihren Ursprung in der Comic-Kultur: In der Comic-Reihe "Fables" ist das Märchenkönigreich von einer bösen Macht übernommen worden. Alle Kreaturen und Figuren, die sogenannten "Fables", müssen in die wirkliche Welt fliehen und dort versteckt leben. Comic-Autor Bill Winningham spielt in seiner Schöpfung brillant subversiv mit dem klassischen Märcheninventar: Aus dem großen bösen Wolf wird ein Kette rauchender Privatdetektiv, Rotkäppchen verwandelt sich in eine Femme Fatale und das kühle Schneewittchen regiert als Bürokratin.

In der Lücke, die Harry Potter hinterlässt

Hollywood beginnt schon 2001 mit der Neugrundierung des Märchenpersonals: Im erfolgreichen Computeranimationsfilm "Shrek" kämpft ein grüner Oger gegen seine klassische Antagonistenrolle an und fordert für sich eine Prinzessin ein. Selbst Disney stimmt 2010 in den revisionistischen Kanon ein und serviert mit "Rapunzel - Neu verföhnt" eine feministische Neudeutung des bekannten Stoffs.

Aktuelle Märchen-Adaptionen füllen vor allem die Lücke, die "Harry Potter" im Jahresplan der Großstudios hinterlassen hat. 2011 versucht die Regisseurin des ersten "Twilight"-Films, Catherine Hardwicke, mit "Red Riding Hood" ein jugendliches Publikum für ihre poppige "Rotkäppchen"-Variation zu begeistern - und scheitert.

Eine ähnliche Richtung schlägt Tarsem Singh mit seiner vor wenigen Wochen angelaufenen "Schneewittchen"-Revision "Spieglein, Spieglein" ein: Gebaut um die wortgewaltige Märchenheldin, entspinnt sich eine romantische Fantasy-Komödie, die an den Kinokassen ebenfalls enttäuscht. Besser ergeht es da zwei Fernsehprojekten: Die US-Serien "Once Upon A Time" und "Grimm", die jeweils mit Märchenelementen hantieren, sind im Herbst des Vorjahres sehr erfolgreich gestartet und wurden jeweils verlängert.

Geht es nach dem Willen der Produzenten, dann soll "Snow White and the Huntsmen" der Auftakt für eine neue Fantasyfilm-Franchise sein. Noch bleibt allerdings abzuwarten, ob das ersehnte jugendliche Zielpublikum die düstere Geschichte auch annimmt. Im Hollywood-Business sind Happy-Ends bekanntlich eher eine Seltenheit.

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