Historiker vermuten: Pflegekinder ausgebeutet

Pflegekinder aus Wien sind vor allem an Bauernfamilien in der Südsteiermark und dem Burgendland vergeben worden. Dort wurden sie zur Arbeit in der Landwirtschaft herangezogen und zum Teil offenbar ausgebeutet. Das steht im Bericht jener Historikerkommission, die sich mit Wiener Kinderheimen befasst hat.

Morgenjournal, 22.6.2012

Pflege-"Kolonien" in Bauernfamilien

Von Großpflegefamilien mit bis zu zehn Pflegekindern ist im Historikerbericht die Rede. Vor allem in die ländlichen Bezirke Radkersburg und Jennersdorf bringt die Fürsorge in den 60er- und 70er-Jahren unterversorgte Kinder aus Wien - von Pflegekolonien ist die Rede. Zitat aus dem Bericht: "Es sind vor allem bäuerliche Familien, die gern Pflegekinder 'nehmen', manchmal bis zu zehn! Wir vermuten, dass das Pflegegeld und die Arbeitsleistung der älteren Pflegekinder maßgebliche Motive der an Geld- und Arbeitskräftemangel leidenden Bauernfamilien waren."

Und in den von der Kommission geführten Interviews mit ehemaligen Pflegekindern und Verantwortlichen ist mehrfach von massiven Missständen in den Familien die Rede. "Etwa, dass Kinder von der Fürsorgerin völlig verlaust und verwanzt, bettnässend und einkotend vorgefunden wurden und zu anderen Pflegeeltern oder in ein Heim gebracht werden mussten."

Heimplätze: Zu wenige und zu teuer

Für die Stadt Wien waren die Pflegeplätze billiger als Heimplätze. Dazu kam laut Historikerbericht der Mangel an Heimplätzen in Wien durch die steigende Zahl an Kindern, die von Eltern abgegeben oder von der Fürsorge den Eltern abgenommenen wurden. Der Bericht einer damals verantwortlichen Fürsorgerin über die Situation bei der Ankunft kleiner Kinder in Radkersburg und Jennersdorf: "Diese Frauen haben sich gut gekannt und die Kinder ausgetauscht. Die die Amtsgehilfin musste die Kinder ja anbringen. Ich wollte immer ein Mäderl, sagt die eine. Und die andere sagt: 'Na ich nehm einen Buben auch.' Und schon waren sie vertauscht."

Eigene Untersuchung gefordert

Es soll zwar intakte persönliche Beziehungen zwischen Kindern und Pflegeeltern gegeben haben. Der Kontakt zu den leiblichen Eltern aber sei durch die große Entfernung von Wien meist unmöglich gewesen. Doch wenn die Pflegekinder ins Lehrlingsalter kommen und keinen Lehrplatz finden, müssen die meisten zurück in Lehrlingsheime in der für sie unbekannten Großstadt Wien. Dort werden sie - auch aufgrund jahrelanger Vernachlässigung - Opfer der Aggression und des Spotts von Wiener Jugendlichen.

Die Heim-Historikerkommission schlägt nun eine eigene, weitergehende Untersuchung vor über die mögliche Ausbeutung von Pflegekindern in der Landwirtschaft.

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