Hubert Reeves erklärt Jugendlichen den Kosmos
Wo ist das Weltall zu Ende?
Ein bezauberndes Buch. Der franko-kanadische Astrophysiker Hubert Reeves, weltbekannter Kosmologe und achtfacher Opa, parliert mit seiner Enkelin über die Geheimnisse des Universums. "Wo ist das Weltall zu Ende", das schmale, leicht lesbare Büchlein, das diesem Dialog entsprungen ist, sei in langen nächtlichen Sommergesprächen entstanden, behauptet der Kosmologe im Vorwort.
8. April 2017, 21:58
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Wir führten unseren Dialog unter freiem Sternenhimmel, den wir bequem auf Liegestühlen ausgestreckt betrachteten. (...) Wir schauten in das Himmelsgewölbe über uns, teilten das Gefühl, unseren Platz inmitten der Sterne zu haben, und den Wunsch, mehr über diesen Kosmos zu erfahren, dessen Bewohner wir sind.
Fragen und Antworten
Das 140 Seiten schmale Büchlein ist dialogisch aufgebaut. Die Enkelin fragt, Reeves antwortet. Wie ist das Weltall entstanden? Was ist ein Schwarzes Loch? Bestehen wir alle aus Sternenstaub? Unerschrocken stellt sich Reeves diesen Fragen.
"Ich habe mich entschieden, für Kinder zu schreiben, die etwa vierzehn Jahre alt sind", notiert der kanadische Astrophysiker, aber natürlich wird sein Buch, wie "Harry Potter" oder "Sofies Welt", auch von Erwachsenen gelesen werden, die eine barrierefreie Einführung in die komplexe Welt der Kosmologie zu schätzen und zu genießen wissen.
Was ist ein Schwarzes Loch?
Geduldig beantwortet Reeves die einfacheren und die weniger einfachen Fragen seiner Enkelin. Wie alt ist das Universum? 13,7 Milliarden Jahre. Dehnt sich das Universum aus? Ja, wie ein aufgehender Rosinenkuchen im Backrohr. Was ist ein Schwarzes Loch? Opa Reeves antwortet so:
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Es gibt Milliarden von schwarzen Löchern. Große wie das Sonnensystem, kleine von den Ausmaßen des Mont Blanc und vielleicht noch kleinere. Allerdings ist das Wort "Loch" nicht gut gewählt. Es handelt sich nicht um Löcher, sondern um äußerst merkwürdige Sterne. (...) Schwarze Löcher sind Sterne, die so dicht und kompakt geworden sind, dass ihr Licht nicht mehr nach außen dringen kann. Ihre Anziehungskraft ist zu stark. Ein schwarzes Loch, das ist ein Stern, der so kompakt ist, dass nichts aus seinem Inneren nach draußen gelangen kann. Selbst das Licht kehrt wieder zu ihm zurück. Nichts, was ihm begegnet, kommt je wieder aus ihm hervor. Er ist eine Art riesenhafter Staubsauger.
Supermassive Schwarze Löcher, auch das erklärt Reeves seiner Enkelin, befinden sich neuesten Forschungen zufolge im Zentrum jeder Galaxie.
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Mittlerweile steht fest, dass jede Galaxie in ihrem Inneren ein schwarzes Loch hat. Die Andromeda-Galaxie besitzt eines, das dreißig Mal massereicher ist als unseres. In anderen Galaxien sind sie noch viel schwerer, bis hin zum Tausendfachen des unseren. Diese Monster verschlucken Sterne und ganze planetarische Nebel. Lawinen von Materie stürzen in sie hinein.
Die Reise der Sonne
Unsere Sonne ist, wie die anderen 100 Milliarden Sterne der Milchstraße, keineswegs fest im All verankert. Nein, die Sonne bewegt sich. Hubert Reeves erläutert dem neugierigen Enkerl die ungeheuren zeitlichen Dimensionen, in denen sich das abspielt.
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So wie die Erde sich in einem Jahr um die Sonne dreht, kreist die Sonne selbst und mit ihr alle Sterne einmal in ungefähr zweihundert Millionen Jahren um den Kern unserer Galaxie.
Gibt es einen Gott?
Es ist erstaunlich, wie lebendig und anschaulich Hubert Reeves die komplexesten Fragen der Astrophysik auch für Laien verständlich aufbereitet. Wobei er auch Wissenslücken - die Wissenslücken der heutigen Wissenschaft - freimütig einbekennt. Gibt es außerirdisches Leben? Kann sein, kann nicht sein. Was wissen wir über Dunkle Energie und Dunkle Materie? Praktisch nichts. Wie steht es um die Existenz von Multiversen? Nichts Genaues weiß man nicht. Immer wieder gibt Hubert Reeves in erfrischender Offenherzigkeit zu, dass er letztlich nichts weiß.
Als seine Enkelin ihn mit der Gretchenfrage konfrontiert – gibt es einen Gott, gibt es so etwas wie einen Weltenbaumeister? – antwortet Reeves folgendermaßen:
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Reeves: Voltaire sagte: "Ich kann mir nicht denken, dass es diese Uhr gibt und dazu keinen Uhrmacher." Voltaire bedient sich des Bildes der Uhr und des Uhrmachers. Aber kann man das Universum wirklich mit einer Uhr vergleichen? Man muss sich vor Vergleichen immer in Acht nehmen.
Enkelin: Soll das heißen, dass man die Vorstellung von einem großen Architekten aufgeben muss?
Reeves: Ich weiß es nicht, das ist die Frage, die ich mir seit langem stelle. Eines ist jedenfalls klar, die Antwort, die Voltaire gibt, ist absolut unbefriedigend. Aber was sollen wir stattdessen annehmen? Ich sehe, wie Deine kleine Katze Coquecigrue auf deinem Schoß schläft. Du hast mir einmal gesagt, dass sie sehr intelligent sei.
Enkelin: Ja, sie erstaunt mich immer wieder. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie denken kann.
Reeves: Und trotzdem kommst du nicht auf die Idee, ihr zum Beispiel Geometrie beizubringen.
Enkelin: Nein, natürlich nicht, das würde sie nicht verstehen.
Reeves: So wie die Geometrie für deine kleine Katze unverständlich bleiben wird, so bin ich oft versucht zu denken, dass diese Fragen zum Projekt des Universums außerhalb unseres Verständnishorizonts liegen. Sie entziehen sich unserer Gehirnleistung. Trotz aller Fortschritte der heutigen Wissenschaft bleibt das Universum für uns zutiefst rätselhaft. Vielleicht wird es das auf ewig bleiben.
Die Rätselhaftigkeit des Universums: Selten ist über die letzten Fragen der Kosmologie so charmant diskutiert worden wie in diesem Buch.
Service
Hubert Reeves, "Wo ist das Weltall zu Ende? Das Universum meinen Enkeln erklärt", aus dem Französischen von Annabel Zettel, C. H. Beck
C. H. Beck - Wo ist das Weltall zu Ende?