Mehr Kontrolle für Jugendämter

Österreichs Jugendämter sollen künftig stärker gerichtlich kontrolliert werden. Hintergrund ist, dass die derzeitige Rechtslage bei Kindeswegnahmen möglicherweise den Menschenrechten widerspricht. Bei "Gefahr in Verzug" kann die Jugendwohlfahrt Kinder aus Familien nehmen – ohne Prüfung durch ein unabhängiges Gericht.

Morgenjournal, 3.9.2012

Keine Überprüfung bei Kindesabnahme

Anlass für die geplante Reform ist ein Fall, der beim Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg anhängig ist: Einem Ehepaar in Innsbruck sind vor sieben Jahren zwei Kinder abgenommen worden, wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs - sie wurden aus der Schule abgeholt. Erst drei Monate später - nach einem Gutachten und einem Gerichtsverfahren - war der Verdacht entkräftet und die Kinder kamen zurück. Aber ob die ursprüngliche Kindesabnahme gerechtfertigt war, konnte nach der Gesetzeslage in Österreich nicht nachträglich überprüft werden, kritisiert der Anwalt der Familie Laszlo Szabo: "Die Kernkritik ist, dass der Jugendwohlfahrtsträger eigentlich tun und lassen kann, was er will, ohne dass diese Maßnahmen gerichtlich überprüft werden können. Das können Sie bei jedem Strafzettel haben, bei jedem Polizeiübergriff, aber bei Jugendämtern geht das nicht. "

Gericht soll prüfen

Das Justizministerium will nun nicht mehr abwarten, ob der Menschenrechts-Gerichtshof Österreich verurteilt. Man plant unabhängig davon eine Verbesserung, sagt Michael Stormann, Leiter der Familienrechtsabteilung. Es soll, sagt Stormann, nach Kindesabnahmen für das Kind bzw. die Obsorge-Personen einen Antrag auf Prüfung geben um die Zulässigkeit zu überprüfen. Das sei eine Verbesserung des Rechtsschutzes.

Neu: Vorläufige Entscheidung

Geplant ist noch ein zweiter Reformschritt: Derzeit kann es mehr als ein Jahr dauern, bis ein Gericht entscheidet, ob vom Jugendamt abgenommene Kinder aus einem Heim zurück nach Hause kommen - vor allem wegen nötiger psychologischer Gutachten. Künftig soll es viel rascher zumindest eine vorläufige Gerichtsentscheidung geben. Stormann: "In Zukunft soll es auf Antrag der Eltern oder des Kindes möglich sein, dass eine vorläufige Entscheidung ergeht, ob das unzulässig ist oder ob es weiterhin zulässig ist. Diese Entscheidung ist innerhalb von vier Wochen zu verhandeln, wird das Gesetz vermutlich sagen."

Jugendwohlfahrt für Änderung

Eine gewisse Entmachtung der Jugendwohlfahrt – möchte man meinen –, aber die Innsbrucker Jugendamtschefin Gabriele Herlitschka ist für rasche vorläufige Entscheidungen: "Das ist ein Wunsch der Jugendwohlfahrt an die Justiz." Justiz-Abteilungsleiter Stormann zu dieser Jugendamtshaltung: "Das spricht für ein gewisses Qualitätsbewusstsein. Wenn man qualitativ arbeitet, hat man Kontrolle nicht zu fürchten." Wobei die Innsbrucker Jugendamtschefin die nachträgliche Kontrolle für Kindesabnahmen kritischer sieht. Sie befürchtet Schadenersatz- oder Amtshaftungsklagen, sollte ein Gericht der Ansicht sein, dass ein Jugendamt zu Unrecht Kinder weggenommen hat. Justiz-Experte Stormann ist da optimistischer. Und er meint, es gehe vor allem darum, dass die Jugendämter aus den künftigen Gerichtsentscheidungen lernen und ihre Arbeit optimieren.