Eine neue "Leporello"-Serie

Alltagsgegenstände genauer betrachtet

Mit der neuen Serie "Zum Greifen nah" will "Leporello" in den nächsten Monaten versuchen, anhand von Objekten die Geschichte Österreichs durchgehend vom Jahr 1900 bis in die Gegenwart zu erzählen. Es geht also nicht um Kultgegenstände, die einmal in aller Munde waren, sondern um Alltagsobjekte, die wohl jeder schon einmal in Händen gehalten hat.

"Je banaler umso besser", meint der Stadthistoriker Peter Payer, "weil sie damit abseits unseres normalen Bewusstseins sind". Es sei nun die Aufgabe von Historikern, solche Objekte "zum Sprechen zu bringen".

Payer leitet im Wiener Technischen Museum den Bereich Alltag und Umwelt. In der Sammlung des Technischen Museums hat sich "Leporello" auch umgesehen, um die passenden Objekte für diese Serie zusammenzustellen. In den 90ern sei im TMW sogar eine eigene Abteilung für Alltagsgegenstände eingerichtet worden, so Payer.

Die "amerikanische Kredenz"

Als zweites Haus neben dem Technischen Museum wird sich das Wien Museum an der neuen "Leporello"-Serie "Zum Greifen nah" beteiligen. Wien-Museum-Leiter Wolfgang Kos hilft bei der Objektauswahl und weist gleich darauf hin, dass die zeittypischen Gegenstände nicht unbedingt auch signifikant für ihre Epoche waren: "Der Petticoat zum Beispiel ist retro-wichtig. Da ihn nur wenige Mädchen hatten, war er in den 50ern ein Sehnsuchtsobjekt."

Signifikant für die späten 1950er Jahre war da etwa die sogenannte "amerikanische Kredenz", damals der Traum jeder modernen Hausfrau. Sie erzählt viel darüber, wie der Drang zur Beschleunigung alle Lebensbereiche erfasste. In einer Werbebroschüre der damaligen Zeit findet sich deshalb auch vorgerechnet, welche Zeitersparnis eine amerikanische Kredenz selbst bei so banaler Tätigkeit wie dem Erdäpfel-kochen bringt. Die amerikanische Kredenz wurde schnell zum Statussymbol.

Die Aufbruchsstimmung, die in der Wirtschaft herrschte, bestimmte mit einem Mal auch das Leben in den eigenen vier Wänden. Warum aber trug die Kredenz das Attribut "amerikanisch"? "Das hängt damit zusammen, dass die Rationalisierungsidee als solche tatsächlich amerikanischen Ursprungs ist. Insofern haben dann rationelle Küchen, aber auch Küchengeräte, die elektrisch betrieben sind, diesen Nimbus des Amerikanischen gehabt", erzählt Susanne Breuss, Kuratorin am Wien Museum. Auch sie wird die Sendereihe das Jahr hindurch begleiten.

Der Herr des Schlüssels

Lange Zeit wurde den vermeintlich banalen Gegenständen des Alltags von Museumsseite zu wenig Aufmerksamkeit gezollt. Mittlerweile hat man eher das Problem, aus der Flut der Objekte die wirklich aussagekräftigen auszuwählen. Ist der Gegenstand dann in der Sammlung gelandet, beginnt für die Wissenschaftler erst die aufwendige detektivische Arbeit, um so viel wie möglich über dessen historischen Kontext herauszufinden.

"Diese Bedeutungen müssen erst rekonstruiert werden", so Breuss. "Man kann zum Beispiel Gebrauchsspuren an Objekten erkennen, die auf einen bestimmten Gebrauchszusammenhang verweisen, aber das kann auch durch Interviews mit den Nutzern passieren, oder durch andere Quellen - schriftliche und bildliche." In jedem Gegenstand sind ganz konkrete Handlungsabläufe gespeichert, die oft Dutzende Male am Tag ausgeführt wurden. Halbautomatisch und damit oft gar nicht mehr bewusst. Gerade solche Gewohnheiten veränderten sich auch nur langsam und wurden außerdem oft von allen Gesellschaftsschichten geteilt.

Auch wenn das nicht das Konzept der Serie ist meint Peter Payer, es wäre durchaus möglich, das Jahrhundert anhand eines einzigen Gegenstands und seiner Entwicklung zu beschreiben: "Ein Gegenstand, den wir täglich verwenden ohne nachzudenken ist der Schlüssel auf unserem Schlüsselbund", der eben auch seine spannende Geschichte habe. So haben in Wien lange Zeit die Hausmeister über den "Schlüssel des Hauses geherrscht". Erst in den 1920er Jahren haben Mieter einen eigenen Hausschlüssel bekommen, "vorher waren sie auf die Sperrstunde des Hausmeisters angewiesen".

Service

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