Debütroman von Florian Illichmann-Rajchl

Der weite Weg zum Wasserspender

Was Arbeiten bedeutet, wenn der Mitarbeiter nicht zählt, beschreibt der Autor Florian Illichmann-Rajchl in seinem Debüt-Roman "Der weite Weg zum Wasserspender".

"Das Büro ist so der Inbegriff einer Entropie-Schneise, die das Geld gezogen hat, und wenn ein Betrieb wirtschaftlich erfolgreich ist, dann geht man heute davon aus, dass er auch viel Geld macht. Tatsache ist allerdings, dass Betriebe, die heute viel Geld machen, das sehr oft leider Gottes auf Kosten ihrer Mitarbeiter oder auf Kosten einer lebenswerten Arbeitsumgebung machen", sagt der Autor über die Zustände in großen Betrieben.

Der "Büroroman" als eigenes Genre

Nach 15 erfolglosen Jahren gibt der Protagonist Lorenz Höfer sein Studium der Veterinärmedizin auf und nimmt einen schlecht bezahlten, monotonen Job in der Medienbranche an. In seiner Agentur werden Pressespiegel im Schichtbetrieb hergestellt, vorwiegend von freien, prekär beschäftigten Mitarbeitern.

Illichmann beschreibt den zermürbend sinnlosen Büroalltag dieser schönen, neuen Arbeitswelt. Dass sich der "Büroroman" noch nicht als eigenes Genre etabliert hat, kann er gut nachvollziehen: "Es ist natürlich ein bissl ein undankbares Genre, weil wenn man auf Urlaub fährt, nimmt man sich gerne etwas mit, was einen von zu Hause wegreißt, was irgendwo in der Wüste spielt, im Himalaya, im 17. Jahrhundert, etwas was die Seele ein bisschen auf Abenteuerfahrt schicken kann. Trotzdem find ich ist es ein unglaublich faszinierendes, ich nenn es jetzt mal doch Genre, weil es ist so eine Herausforderung an das Prinzip 'sad lyrics – happy music'. Das Umfeld ist sad bis zum geht nicht mehr, das ist einfach tot. Und das eigentliche Abenteuer ist der Mensch, der sich positioniert zu dieser toten Umgebung."

Gerade in diesem grauen Umfeld treibt das Zwischenmenschliche interessante Blüten, meint Illichmann. In seinen lapidaren Beschreibungen der alltäglichen Büro-Absurditäten, kann sich wohl jeder, der schon einmal in einem Büro gearbeitet hat, wiederfinden: Da werden Mails über eine Distanz von zwei Metern hin- und hergeschickt. Brösel, die der Vorgänger auf der Computertastatur hinterlassen hat, sorgen für allmorgendlichen Unmut. Und am Getränkeautomaten übt man sich unbeholfen im Smalltalk.

Zum großen Teil hat Illichmann seine Erfahrungen als freier Mitarbeiter bei der Austria Presseagentur niedergeschrieben. Zuvor war der Autor beim Vermessungsamt, einem Kunstausstellungsservice und als Fahrradbote tätig.

Rundmails in der Legebatterie

Im Großraumbüro, das von allen nur "die Legebatterie" genannt wird, sind die freien Mitarbeiter zusammengepfercht, sofern sie überhaupt einen Bürostuhl ergattern. Trinkwasser müssen sie auf dem Klo besorgen. Und in kuriosen Rundmails werden sie darum gebeten, sich beim Gang in die Kantine einem angestellten Mitarbeiter anzuschließen, da für sie keine Magnetkarten für den Zutritt vorgesehen seien. Florian Illichmann denkt, "dass es eine geistige Grundhaltung gibt, die dieses Phänomen der freien Mitarbeiter braucht. Und wenn's nicht die freien Mitarbeiter sind, dann sind's die Ich-AGs, sind's die kleinen Gewerbescheinhalter, ist es sonst irgendjemand der halt auf der untersten Stufe sitzt, an dem man ein bisschen seine Macht ausprobieren kann." Weiters, "dass mit der Abschaffung der freien Mitarbeiter an sich, nur das alleine, noch nichts getan ist."

Stück für Stück dekonstruiert Illichmann die Prinzipien dieser neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft. Er selbst wurde bei der Presseagentur gekündigt, nachdem er bessere Arbeitsbedingungen gefordert hatte: "Es ist mir nicht darum gegangen jemanden bloßzustellen oder auch die Firma bloßzustellen weil das ja nur irgendein blödes Hickhack ergeben würde, "nein das war nicht so, und ja das war aber doch ein bisschen anders". Es geht mir um diese Angstsituation in einem Betrieb. Weil, da geht's ja nicht nur um die Angst der freien Mitarbeiter, da geht's ja um die Angst der Chefs genauso. Die Chefs haben Angst, dass sie ihre Mitarbeiter nicht unter Kontrolle haben, oder dass sie was falsch machen, dass sie abgesägt werden, und die Mitarbeiter haben so und so Angst, das ist eh klar."

Burnout-Syndrom für den Lebenslauf

Lorenz Höfer lässt sich jedoch nicht unter Druck setzen, im Gegenteil: Kühn fordert er sogar neue Bürostühle, Feinstaubfilter in den Druckern und generell ein rechtmäßiges Arbeitsverhältnis. Dabei macht er sich nur bei den Vorgesetzten, sondern auch bei den Kollegen, die um ihren Job fürchten, unbeliebt. Das Angebot seiner Frau, einer erfolgreichen Tierärztin aus wohlhabender Familie, weiterhin in ihrer Praxis auszuhelfen, lehnt er ab.

Über seinen Protagonisten sagt Florian Illichmann: "Ich hab versucht einen Menschen zu zeichnen, der auch nicht allzu stabil ist, der ein bisschen was Flirrendes hat, der auch zu Hause ein bisschen aneckt oder kein allzu gutes Familienverhältnis hat um ihm nämlich, möglicherweise hab ich da ein bisschen übertrieben, aber mir war's wichtig, eine nicht ideale Work Life Balance aufzupflanzen."

"Work Life Balance", das sei ohnehin ein Programm, das sich Manager ausgedacht haben, um das Burn Out möglichst lange hinauszuzögern, meint Illichmann. Und das Burnout-Syndrom wiederum sei im Geschäftsleben schon fast eine Art Auszeichnung: "Das ist fast ein bisschen wie ein Initiationsritual. Ich habe mein Burn Out schon gehabt", das impliziert auch ein bisschen "heute weiß ich wie's lang geht". Und das ist einfach kompletter Schwachsinn."

Ein Statusbericht zur modernen Geschäftswelt

In einer grotesken Wende werden gegen Ende des Buches schließlich nahezu alle Mitarbeiter der Firma entlassen, auch die Angestellten. Die Medienagentur wird von einer chinesischen Gesellschaft übernommen. Das Einsparungspotential bei den Mitarbeitern ist offenbar so groß, dass sich sämtlicher Übersetzungsaufwand rentiert. Lorenz Höfer beschließt mit seiner Frau aufs Land zu ziehen.

"Der weite Weg zum Wasserspender" ist ein höchst amüsanter Statusbericht zur modernen Geschäftswelt. Dabei geht es dem Autor weniger darum, unfaire Arbeitsverhältnisse anzuprangern, als vielmehr die Lebensqualität des Einzelnen in Erinnerung zu rufen. Und das macht er mit einer gehörigen Portion Selbstironie.

Im Moment ist Florian Illichmann-Rajchl übrigens wieder arbeitslos. Die MA 48 habe ihn als Abfallberater gekündigt, da er seine Scheinselbständigkeit nicht akzeptieren wollte, erzählt er. Dass auch sein Protagonist als Aussteiger am Land nicht zur Ruhe kommen wird, ist absehbar. Schon bevor er dort wohnt, legt er sich mit dem Bürgermeister an.

Service

Florian Illichmann-Rajchl, "Der weite Weg zum Wasserspender", Metroverlag

Metroverlag - Der weite Weg zum Wasserspender