Gut gegen akustische Zumutungen

1907 - Ohropax

Verschwindend klein ist unser Gegenstand heute, überzeugt aber durch seine große Wirkung. Es handelt sich um einfache Ohropax, die uns ins Jahr 1907 zurückblicken lassen. Genau damals nämlich wurde dieser Hörschutz erfunden und das war kein Zufall, betont Peter Payer, Leiter des Bereichs Alltag und Umwelt im Wiener Technischen Museum. Von einer ruhigen und beschaulichen guten alten Zeit konnte vor gut hundert Jahren nämlich keine Rede sein.

Genau damals nämlich wurde dieser Hörschutz erfunden und das war kein Zufall, betont Peter Payer, Leiter des Bereichs Alltag und Umwelt im Wiener Technischen Museum. Von einer ruhigen und beschaulichen guten alten Zeit konnte vor gut hundert Jahren nämlich keine Rede sein.

Peter Payer erzählt: "Das Ohropax ist in einer Zeit wirklich aufgetreten und da geboren worden, wo es genau das Gegenteil war, also es war nicht ruhig und beschaulich, sondern wo man wirklich so einen Modernisierungsschub gehabt hat, in den Städten sowieso, die natürlich expandiert sind, explodiert sind, wenn man so will, aber auch in allen Lebensbereichen. Es ist einfach: die Dichtheit der Laute hat sich verändert. Die Geräusche haben eine andere Zusammensetzung erfahren und da ist das Ohropax natürlich ein Mittel gewesen, um sich auch gegen die Vielzahl der neuen Zumutungen, wenn man so will, zur Wehr zu setzen und das man immer mitnehmen kann. Das war so eines der Erfolgsgeheimnisse dieses neuen Schutzmechanismus."

Extreme Lärmquellen

Und zu schützen galt es sich vor einer ganzen Reihe an neuen, bisher gleichsam unerhörten Lärmquellen. "Da war natürlich schon der Autoverkehr um 1900 zunehmend. Die ersten Autos waren natürlich irrsinnige Krachmacher - also das kann man sich ja gar nicht mehr vorstellen. Am lautesten war der Straßenverkehr. Das Pferdegetrappel auf dem Kopfsteinpflaster natürlich, die Marktrufer, überhaupt die Stimmengeräusche, die Tiergeräusche in der Stadt, die unzähligen Pferde und Ochsen und sonstige Zugtiere Natürlich auch dann die Fabriken mit ihren Geräuschen, die dann in den öffentlichen Raum gedrungen sind", beschreibt Peter Payer die damalige Situation.

Neue Krankheiten

Neue Krankheiten wie Nervenschwäche oder Hysterie traten damals auf und verunsicherten die Gesellschaft. Die Obrigkeit reagierte und eröffnete 1907 die Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke "Am Steinhof". Und auch die Entwicklung des Ohropax, damals noch knetbare Wachskügelchen, sollte zur Nervenrettung der Bevölkerung beitragen. "Das steht genau in diesem Zusammenhang, dass hier der moderne Großstädter als nervös erkannt worden ist und auch pathologisiert / diagnostiziert worden ist. Eine Krankheit, die Neurasthenie ist von Amerika ausgehend bezeichnet worden und hat dann quasi auch Einzug in Europa gehalten. Heute würde man Burn-Out dazu sagen. Das ist im Prinzip das Gleiche - eine Übererregbarkeit, eine Übersensibilität für Reize aller Art", sagt Payer.

Ohropax und Gesellschaft

Parallel zur Verbreitung von Ohropax wurden auch behördliche Maßnahmen zur Unterbindung von Lärmbelästigung gesetzt. Urbane Geräuschentwicklung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber auch als Instrument der Parteipolitik zwischen konservativen und fortschrittlichen Strömungen entdeckt, weiß Kurator und Stadtforscher Peter Payer: "Der Lärm war ein Gefäß, wo man sehr viele Projektionen hineinleiten konnte. Wer stadtkritisch eingestellt war, hat natürlich im Stadtlärm im Großstadtlärm genau das richtige Thema gefunden, um hier weiter auch dagegen zu opponieren. Wer stadt-, großstadtpositiv eingestellt war, gibt auch sehr schöne Belegstellen, die davon sprechen, wie positiv die neuen Geräusche sind. Die darin auch eine neue Ästhetik des Alltags sehen."