Zwangssterilisationen in Österreich

In Österreich dürften Hunderte Frauen mit Behinderung ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen sterilisiert worden sein. Rund jede zweite intellektuell beeinträchtigte über 40-Jährige ist zwangssterilisiert, vermuten Expertinnen aus der Behindertenbetreuung. Eine Betroffene überlegt zu klagen.

Probleme befürchtet

Ihre Einverständniserklärung zur Sterilisation sei erzwungen worden, sagt eine 34-jährige Tirolerin. Die Frau ist ohne Schilddrüse zur Welt gekommen, gilt aber auch aufgrund traumatischer Erlebnisse in der Kindheit als behindert. Zur Sterilisation im Jahr 2009 sei es nach einem routinemäßigen Frauenarzt-Besuch im Spital gekommen. Ein Arzt und eine Betreuerin hätten ihr da eine Einverständniserklärung vorgelegt, schildert die Frau: "Ich hab gesagt: Das will ich nicht unterschreiben. Ich habe das nicht einmal lesen dürfen. Ein Betreuer hat dann gesagt, ich muss das unterschreiben, sonst flieg' ich von der Lebenshilfe heraus und bekomme sonstige Probleme." Dann, so die 34-Jährige, die von der Lebenshilfe betreut wird, seien ihr unter Narkose die Eileiter abgeklemmt worden. Wie viele Betroffene fühlt sie sich seither abgewertet als Frau. Sie sagt: "Ich hab kein Vertrauen mehr gehabt in die Menschen, ich war so enttäuscht und so verletzt. Ich fühle mich nicht mehr wie eine Frau."

Die Tirolerin will nun mit Unterstützung ihrer neuen Sachwalterin versuchen, die Sterilisation aufheben zu lassen. Außerdem überlegt sie eine Klage – gegen die Lebenshilfe oder damals zuständige Mitarbeiter.

Lebenshilfe betont Freiwilligkeit

Die Reaktion der Lebenshilfe: Zuerst hieß es aus Wien, die Sterilisation sei per Gerichtsbeschluss erfolgt. Damit wäre sie legal gewesen, doch offenbar gab es gar keinen Gerichtsbeschluss - aber auch keine Zwangssterilisation, meint Oliver Gosolits, Lebenshilfe-Tirol Geschäftsführer: "Die jeweilige Person hat sich aus freien Stücken und nach ärztlicher Beratung zur Sterilisation entschlossen." Die Lebenshilfe trete jedenfalls seit mehr als 20 Jahren gegen Zwangssterilisationen auf. Davor waren sie häufig in Österreich und bis Ende der 90er-Jahre auch nicht verboten. Marlies Pötzl vom Verein "Zeit zu Zweit" arbeitet mit Betroffenen und sagt über Frauen mit intellektuellen Beeinträchtigungen in Behinderteneinrichtungen: "Ich vermute, dass zwischen 40 und 50 Prozent der Frauen, die über 40 Jahre alt sind, zwangssterilisiert worden sind."

Sterilisation auch bei "erworbener Behinderung"

Darunter sind auch Frauen, die nicht von Geburt an beeinträchtigt waren, meint Maria Köberl vom Wiener Verein Ninlil: "Es gibt sogenannte erworbene Behinderungen, wenn man als Kind nicht gefördert wird, eine schlechte Sozialisation hat. Von diesen Frauen gibt es sehr viele in Wiener Behinderteneinrichtungen – auch welche, die sterilisiert sind." Dabei könnten diese und andere Frauen mit Beeinträchtigungen völlig gesunde Kinder bekommen und sie – mit Unterstützung – auch aufziehen, sagt Köberl. Ein Kind, das wünschen sich auch die 34-jährige Tirolerin und ihr Freund. Doch die Chance, dass ihre Sterilisation wirklich rückgängig gemacht werden kann, liegt laut ihrer Frauenärztin nur bei 50 Prozent.