NS-Architektur im Waldviertel

"Architekturen des Nationalsozialismus" heißt ein großer Foto-Textband der Künstlerin Maria Theresia Litschauer. Es geht darin nicht um die Monumentalbauten, die man sich landläufig unter "Naziarchitektur" vorstellt. Sondern Litschauer zoomt auf das gesamte Baugeschehen in einer ländlichen Region: Dem Waldviertel, wo sie selbst aufgewachsen ist. Das Buch wurde gestern an der Wiener Akademie der Bildenden Künste in einer Podiumsdiskussion vorgestellt, unter anderem mit dem Zeithistoriker Oliver Rathkolb.

Morgenjournal, 23.10.2012

Der Band "Architekturen des Nationalsozialismus" von Maria Theresia Litschauer ist drei Kilo schwer und das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Denn man glaubt gar nicht, wie viele altvertraute, unspektakuläre Bauten aus der Nazizeit stammen - auch im Waldviertel.

Da gibt es diese gewissen Wohnsiedlungen - 2- oder 3geschoßige, längliche 08/15-Häuser, hintereinander an der Straßenfront aufgereiht. Gesprosste Fenster, schmucklose Giebeldächer. Nur leicht miefig-triste Ausstrahlung, ansonsten unscheinbar.

Oder das Gleiche in kleinklein - Doppelhäuschen mit Steildach und Holzfensterläden auf Grünparzellen. Bei solchen Objekten tippen viele auf die 1930er oder 1950er Jahre. Man ist nicht gewohnt, sie der Nazizeit zuzuordnen. Tatsache ist aber, dass sie nach genau vorgegebenen Konstruktionsplänen aus Berlin errichtet wurden, erklärt Maria Theresia Litschauer.

"Das war das Reichsheimstättenamt der deutschen Arbeitsfront, die ein Bauformen- und Ästhetikdiktat verordnet hat! Und das wurde entwickelt von Vertretern der so genannten Stuttgarter Schule, der Herr Schulze-Frohlinde, der wurde dann der Zentralplaner in der deutschen Arbeitsfront, und hat Konstruktionspläne entwickelt, die dann ausgesandt und 1 zu 1 gebaut wurden!"

Wohnanlagen und Großprojekte

Viele der damaligen Wohnanlagen waren für Wehrmachtsoffiziere bestimmt. Auch Großprojekte - von den Quartieren am Truppenübungsplatz Döllersheim bis zur Kartoffelverwertungs AG Gmünd - dienten direkt oder indirekt der Kriegsführung.

"Dafür waren Geld, Material und Arbeitskräfte da, die ab 1939 aus Kriegsgefangenen und dann zusätzlich aus Zwangsarbeitern rekrutiert wurden", sagt Lischauer.

Nach Kriegsende wurde Baustil übernommen

Nach Kriegsende gab es keinen großen Stilbruch in der ländlichen Architektur, darüber waren sich die Podiumsdiskutanten bei der Buchpräsentation einig. Haustypen aus der Nazizeit wurden auch weiterhin gebaut, schon weil teils noch dieselben Planer am Werk waren. Die zwischen 1938 und 1945 errichteten Siedlungen werden teils bis heute liebevoll erhalten. Bis hin zu den Fresken darauf.

Kommentar des Zeithistorikers Oliver Rathkolb: "Die Wirkungsmacht bedeutet bei den Siedlungsbauten, dass der Nationalsozialismus ohne Bruch, ohne eine Stunde Null, ohne irgendetwas in Frage zu stellen, Teil der regionalen Geschichte geworden ist."

Gerade mit alten Waldviertler Haustypen hat die Alltagsarchitektur des Nationalsozialismus rein gar nichts zu tun - so der Architekturhistoriker August Sarnitz: "Alles, was in diesem Buch dokumentiert ist, es passt nicht wirklich im Maßstab, aber die einzelnen Elemente täuschen vor, dass sie immer schon dort gewesen sind".

Die diskrete Heimattümelei der Haustypen aus der Nazizeit war stil- und geschmacksprägend auch insofern, als es dadurch die architektonische Moderne vielleicht noch schwerer hatte und hat - bis heute.

Nun steht es aber schon einmal da, das bauliche Erbe aus dem Tausendjährigen Reich. Akademierektorin Eva Blimlinger fragte die Diskutanten: "Was tut man mit diesen Dingen, was wäre zu tun gewesen oder was sollte man heute damit tun?"
Die einhellige Antwort: Stehen lassen - aber irgendwie ausschildern; und vor allem: Bewusstsein wecken, worum es sich da handelt.