Studie zu Schicksal ausgebeuteter Pflegekinder

Nicht nur in Fürsorge-Heimen, auch bei Pflegeeltern sollen hunderte Kinder Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sein. Die Stadt Wien startet nun eine wissenschaftliche Untersuchung des Schicksals von Pflegekindern. Bereits jetzt sind rund hundert Meldungen über psychische, physische und sexuelle Gewalt eingegangen. Insbesondere von vermutlich hunderten Wiener Kindern, die bis in die 70er Jahre in der Landwirtschaft ausgebeutet wurden.

Morgenjournal, 29.10.2012

"Waren die Fürsorgekrüppel"

"Wir haben keine Kindheit gehabt", sagt Herta S. und wenn sie erzählt, kommen ihr immer wieder die Tränen. Als sie zwei Jahre alt war, ist die Mutter der heute 53-Jährigen gestorben. Die Fürsorge bringt Herta und ihren Bruder zu Pflegeeltern in die Südoststeiermark: "Wir waren dort keine Menschen, wir waren die Fürsorgekrüppel." Ihre Pflegeeltern seien wohl nur am Pflegegeld und der Arbeitskraft der Kinder interessiert gewesen: "Wir waren nur zuständig für den Acker, den Kuhstall, das Arbeiten. Da hat es kein Lernen oder Spielen gegeben. In meinem ganzen Leben habe ich nie eine Puppe bekommen."

Gewalt und sexueller Missbrauch

Auch Süßigkeiten hätten die vier Pflegekinder nie bekommen, stattdessen oft schimmliges Brot, erzählt die 53-Jährige - und vom Pflegevater, einem Alkoholiker Schläge, wenn sie von der Schule zu spät zum Arbeiten heimgekommen sind. Besonders gefürchtet hat sich Herta S. davor, alleine mit dem Pflegevater zu Hause zu sein. "Als ich elf, zwölf Jahre alt war, hat der Missbrauch begonnen."
Der Missbrauch habe erst aufgehört, als sie der Pflegemutter davon erzählt hat.

Gravierende Folgen

1974, mit 15 verlässt Herta S. die Pflegefamilie. Heute bezeichnet sie ihre beiden eigenen Kinder und ein Enkel als ihr ganzes Glück und hat zu Allerheiligen in Wien das Grab ihrer allzu früh verstorbenen Mutter besucht.Die Folgen der unzähligen traumatisierenden Erlebnisse und der harten Arbeit in der Südoststeiermark aber sind gravierend. Keine Ausbildung, Bandscheibenvorfälle schon mit 30, zwei Selbstmordversuche, dann medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung. "Es ist eigentlich dein ganzes Leben versaut", sagt Herta S.

Studie zu Pflegekinderschicksalen

Sie macht Mitarbeiter von Jugendamt und Fürsorge mitverantwortlich. Denn die hätten nie alleine mit ihr gesprochen und gefragt wie es ihr geht - Besuche bei der Pflegefamilie waren immer vorangemeldet und höchst amikal.

Vor einigen Monaten hat sich Herta S. beim Gewaltschutzzentrum Steiermark gemeldet. Das Wiener Gremium für Fürsorge- und Jugendamts-Opfer hat ihr dann eine Anerkennungszahlung von 30.000 Euro und 80 Therapiestunden zugesprochen. Ihre Meldung ist eine von hundert durch Pflegekinder - alleine in Wien. Ein Team der Fachhochschule Campus soll nun Pflegekinderschicksale in einer Studie erforschen. Das Ziel: Lernen aus Fehlern.

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