Porträt Miguel Gomes

Der portugiesische Filmemacher stellt seinen neuen Film "Tabu" bei der diesjährigen Viennale persönlich vor.

Kulturjournal

Mit seinem Film "Tabu" hat der portugiesische Regisseur Miguel Gomes heuer viele überrascht. Vor allem jene, die mit seinen bisherigen Arbeiten vertraut waren. Bisher hat Gomes vor allem Kurzfilme realisiert, sein erster Langfilm "The face you deserve" aus dem Jahr 2004 war ein Musicalfilm, der von der Kritik - als aufdringlich und skurril beschrieben - mit Skepsis aufgenommen wurde.

"Our beloved month of August" überzeugte dann als permanente Grenzwanderung zwischen Dokumentation und Fiktion schon eher. Und mit "Tabu" hat Gomes nun eine äußerst poetische Arbeit vorgelegt, die von der Kritik gefeiert, bei der heurigen Berlinale sowohl mit dem Alfred Bauer, als auch mit dem Fipresci Preis, dem Preis der internationalen Vereinigung der Filmkritiker, ausgezeichnet wurde. In zwei Teilen und in Schwarz weiß erzählt Gomes dabei gleich mehrere Geschichten, angesiedelt zwischen der Gegenwart Portugals und seiner Vergangenheit als Kolonialmacht.

Das Kino und die Realität

Wenn man schon die Möglichkeit habe in einem Film mehrere Geschichten zu erzählen, warum zur Hölle sollte man dann nur eine erzählen? Etwas launig, mit Zigarette in der Hand sitzt Miguel Gomes beim Interview. Sein Film ist einer, der nach vielen Erklärungen verlangt, man will wissen was hinter dieser formal außergewöhnlichen, vielschichtigen wie poetischen Arbeit steckt. "Meine Filme sind nicht sehr realistisch", sagt der Regisseur, "ich glaube es bringt dem Kino wenig mit der Realität konkurrieren zu wollen. Denn dann gewinnt immer die Realität. In meinen Filmen gibt es dann immer einen Teil, der nach einem zweiten verlangt. Ein erster, der sich näher an der Realität bewegt, und ein zweiter der diese aufbricht, der einem fiktionalen Film näher ist."

Im ersten Teil sind es drei Frauen, die sich in ein seltsames Abhängigkeitsverhältnis begeben, mit Pilar, einer der Protagonistinnen, die weniger ein eigenes Leben lebt, als die Geschichten ihrer Mitmenschen zu sammeln. An deren Erinnerungen und Träumen zehrt, weil sie ihre eigenen längst verdrängt und verloren hat. Eine Erinnerung führt sie dann in die Jugend von Aurora, in eine unbenannte afrikanische Kolonie. Der Film wird dann ein anderer: in Stummfilmmanier gedreht, tritt eine Erzählstimme an die Stelle der Dialoge, und Gomes eröffnet ein filmisches Universum mit exotischem Setting. Mit traurigen Krokodilen, einer tragischen Liebesgeschichte und einem Verbrechen. Der erste Teil, der in der Gegenwart spielt trägt den Titel "Das verlorene Paradies", der zweite führt dann zurück in das "Paradies", das nur in unserer Erinnerung existieren kann und von Anfang an verloren ist.

Die Unschuld auf der Leinwand

"Ich glaube, das Paradies in der zweiten Hälfte, ist die Jugend. Die Jugend der Frau, die längst nur noch eine Erinnerung ist, und auch die Jugend des Kinos. Das Kino ist wie die Figuren im Film: es ist älter geworden. Und ich glaube das Kino heute vermisst seine Jugend." Und Gomes beschwört die Geister der Jugend des Kinos herauf. Mit Schwarz Weiß Bildern, einem eigentümlich quadratischen, fast 4:3 Format. Und einer Filmsprache, die im zweiten Teil sich jener des Stummfilms bedient, und diese dabei zugleich in die Gegenwart übersetzt. Nicht nostalgisch sondern verspielt zitierend.

Der Titel des Films "Tabu", ist von Friedrich Murnaus gleichnamigem Stummfilm aus dem Jahr 1931 übernommen. Eine Zeit, in der das Kinopublikum noch offener gewesen sei, auf eine gewisse Weise unschuldig, so Gomes: "Für mich repräsentiert Murnau das Kino, ich glaube das war die Blütezeit des Kinos. Ich wollte einen Film machen, der zwar modern ist, zugleich aber versucht diese Unschuld der Frühzeit des Kinos wieder auf die Leinwand zu bringen. Es gibt beispielsweise eine Szene im Film, wo das junge Liebespaar in die Wolken schaut, die dann die Umrisse von Tieren bekommen. Das ist auf eine sehr einfache Art poetisch. Eine Poesie, die es im Stummfilm gegeben hat, und die heute sehr schwer zu vermitteln ist. Das Publikum lässt sich nicht mehr so leicht verführen, es ist weniger zugänglich, dafür umso zynischer."

Portugiesischer Film in der Krise

Und "Tabu" ist dabei auch ein Film über Portugal und seine Geschichte als Kolonialmacht. Irgendwie hat man das Gefühl, dass hier auch eine gewisse Nostalgie an die alten Zeiten mitschwingt. Klar sagt Miguel Gomes, aber derzeit sehne man sich in Portugal generell nach den alten Zeiten, denn so schlecht wie derzeit sei es um das Land noch nie bestellt gewesen. Man sei in der aktuellen Krise an der Grenze dessen angelangt, was man in einem demokratischen System den Menschen zumuten könne.

Die staatliche Filmförderung wurde fast komplett eingestampft, im letzten Jahr habe es keinen einzigen rein portugiesischen Film gegeben, so Gomes. Gelder kommen wenn von den TV Anstalten, die zu minimalen Abgaben verpflichtet seien. Auf ein neues Gesetz, das bald kommen soll, wird gewartet. "Tabu" ist dementsprechend eine Koproduktion zwischen Portugal, Deutschland, Frankreich und Brasilien. Ein großartig poetischer Film und eine Liebeserklärung an das Kino, das Miguel Gomes mit der Zigarette im Mundwinkel für tot erklärt, und das sich dabei hier so lebendig präsentiert, wie nur bei wenigen Filmen im Jahr.

Am Samstag, 3. November, ist "Tabu" in Anwesenheit von Miguel Gomes und dem Produzenten Luis Urbano im Wiener Gartenbaukino zu sehen. Und schon nächste Woche läuft der Film dann regulär in den heimischen Kinos an.