Robert Shiller plädiert für ein besseres Finanzsystem

Märkte für Menschen

Robert Shiller, Professor für Ökonomie an der Yale University, wird seit Jahren als Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis gehandelt. Gemeinsam mit Goerge Akerlof, der den Wirtschaftsnobelpreis bereits bekommen hat, hat er 2009 das Buch "Animal Spirits" veröffentlicht, in dem er sich gegen den Marktglauben aussprach und dazu aufrief, die nicht-rationalen Aspekte des wirtschaftlichen Handels zu berücksichtigen.

Aufsehen erregte er aber schon lange davor, und zwar im Jahr 2000 mit der Veröffentlichung des Buchs "Irrationaler Überschwang", in dem er vor einer Blase auf dem Aktienmarkt gewarnt hat. Die New-Economy-Blase platzte dann auch, ganz dieser Prognose folgend. 2007 platzte die nächste Blase, und zwar jene, die sich am amerikanischen Immobilienmarkt gebildet hatte.

Seither befinden wir uns in einer Weltwirtschaftskrise, in der das Schlimmste, wie Shiller in seinem neuen Buch schreibt, noch kommen kann. Dennoch zieht er daraus nicht den Schluss, den Finanzkapitalismus und seine neuen Instrumente zu verdammen, sondern er will ihn - ganz im Gegenteil - ausweiten: "So schaffen wir ein besseres Finanzsystem" lautet daher auch der Untertitel zu Shillers neuem Buch "Märkte für Menschen". Im Interview erklärt er, wie er sich das vorstellt.

"Wir haben einen Spielinstinkt"

Wolfgang Ritschl: Vor drei Jahrzehnten war das Volumen der Finanzprodukte gleich groß wie jenes der produzierten Gütermenge. 2009 war das Weltfinanzvolumen 65 Mal so groß wie die Wertschöpfung der Realwirtschaft. Wenn man das Geldvolumen heranzieht, ist die Situation noch dramatischer: Die Realwirtschaft hat nur mehr einen Anteil von einem halben Prozent, 99,5 Prozent sind Spekulation und Wetten. Müsste man diesen Anteil nicht deutlich zurückfahren statt ihn, was kaum vorstellbar ist, noch weiter auszubauen?
Robert Shiller: Es ist schwer zu entscheiden, welcher Sektor welchen Anteil haben soll. Die Zahlen erscheinen uns manchmal eigenartig. So schätzt der Ökonom Samuel Bowles den auf Wachdienste aller Art, inklusive Militär, entfallenden Anteil an der amerikanischen Erwerbsbevölkerung auf knapp 20 Prozent. Ob das vorteilhaft ist? Der Finanzsektor mag künstlich groß sein, weil wir einen Spielinstinkt haben. So wie Menschen im Geschäft sich zum Stehlen verleiten lassen, wenn keiner hinsieht, wollen sie riskieren, wetten und spekulieren. Die menschliche Natur hat nun mal bewundernswerte und beklagenswerte Seiten. In einer freien Gesellschaft haben wir nicht nur Menschen, die ein mustergültiges Leben führen.

Zum Wandel bei den Finanzaktivitäten: Es gab ein hohes Aktivitätsniveau in den 1920er Jahren, das dann zurück ging, vor kurzem stieg es wieder an, um mit der Finanzkrise wieder abzunehmen. Es gibt also ein Auf und Ab. Vielleicht gab es eine Blase bei Finanzberufen. Aber ich glaube, dass der Finanzsektor auch in Zukunft wichtig sein wird, weil er so essenziell ist für alles, was wir tun.

Es mag verschwenderisch erscheinen, aber um Dinge voranzubringen brauchen wir bestimmte Aktivitäten. Nehmen Sie den Einkauf im Lebensmittelladen: da bekommt der Bauer auch nur einen geringen Anteil vom Verkaufspreis und man denkt vielleicht, dass man Geld verschwende, man könnte ja auch direkt beim Bauern kaufen, zum Ab-Hof-Preis. Aber die Ladenpreise sind so hoch, weil der Transport mehr kostet als das Produkt selbst. Für mich ist das eine Analogie zum hohen Niveau an Finanzaktivitäten.

"Wir haben uns selbst in diese Krise hineinmanövriert"

Nun sagen viele Menschen, auch viele Experten, dass es genau die neuen Finanzinstrumente waren, die uns in den Abgrund geführt haben, und zwar die selbst von Bankern nicht mehr überschaubaren Bündelungen von Hypothekenkrediten geringer Bonität, der sogenannten Subprimes. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass genau die gleichen Banker, die uns in die Krise geführt haben, uns mit anderen, ebenso komplizierten, aber "guten" Finanzinstrumenten aus der Krise führen können? Hieße das nicht, den Bock zum Gärtner zu machen?
Ich glaube nicht, dass die Bock/Gärtner-Analogie zu dem passt, was auf den Finanzmärkten passiert. Und ich glaube auch nicht, dass uns die Banker allein in diese Krise geführt haben. Wir haben uns selbst in diese Krise hineinmanövriert. Die Blasen, die die Krise auslösten, waren nahezu universal, da waren Menschen aus allen Gesellschaftsschichten daran beteiligt, die Banker verhielten sich nicht viel anders als der Rest der Menschen.

Vor der Krise glaubten viele an die Theorie, dass es so etwas wie Blasen gar nicht gibt. Die vorherrschende Meinung war, dass die Märkte klüger sind als es jedes Individuum je sein kann und dass es anmaßend wäre, wenn ein einzelner eine Blase erkennen könnte. Ich will nicht sagen, dass die Banker gleichmäßig gut waren – nach der Krise tendieren wir dazu, Geschichten von ungebührlichem Verhalten hervorzuholen, und natürlich gab es das auch. In jeder Gesellschaftsschicht gibt es Betrüger, sogar in der Kirche und in Wohltätigkeitsorganisationen, da darf man nicht den Maßstab verlieren.

"Too big to fail" war das Schlagwort, als es um die Rettung angeschlagener Banken ging, um Banken, die zu große Risiken eingegangen sind, dafür aber nicht bestraft wurden. Im Gegenteil, viele nutzten die Rettungsgelder, um erneut hohe Boni an die Manager auszuschütten. Müsste man die großen Banken nicht erst zerschlagen, bevor man über eine Ausweitung des Finanzsystems nachdenken kann?
"Too big to fail" könnte in die Irre führen. Es kommt weniger auf die Größe des einzelnen Unternehmens an als auf die Größe des gesamten Bankensektors. In der Großen Depression der 1930er Jahre gingen in den USA Tausende kleine Banken ein, das Versagen war nicht konzentriert auf einige wenige große Fälle. Trotzdem hatten wir eine Weltwirtschaftskrise.

Es gibt ein Argument, um Finanz-Institutionen zu zerschlagen bzw. sie nicht zu groß werden zu lassen, sogar in den USA haben wir ein zugegebenermaßen schwaches Instrument, um die Größe einzelner Banken zu beschränken. Die Gesellschaft ist angenehmer, wenn sie nicht von wenigen großen Finanz-Institutionen dominiert wird. Anti-Trust-Einrichtungen müssen wir im Finanzwesen in Betracht ziehen. Ich glaube aber nicht, dass dies ganz alleine die Krise beenden würde. Wir können immer noch eine systemische Krise haben, an deren Ende eine Rettungsaktion für kleinere Banken stünde.

"Ein Fehlen von Überwachung"

Der Boom, der in die Krise führte, war Ihrer Meinung nach vergleichbar mit einer Autobahn, auf der die meisten Fahrzeuge die erlaubte Höchstgeschwindigkeit geringfügig überschritten. Für die Autobahnen schwebt Ihnen zur Lösung dieses Problems bessere Technik vor, intelligente Tempomaten in den Autos oder gar selbstfahrende Autos. Was würde das umgelegt auf das Finanzsystem bedeuten?
Die Krise wurde zum Teil durch ein Fehlen von Überwachung verursacht, überhaupt von einer systemischen Instabilität der Wirtschaft. Es war, als ob wir eine Autobahn ohne Geschwindigkeitsbeschränkung hätten, und das auf einer kurvigen, gefährlichen Strecke. Dazu hat niemand die gefährlichen Abschnitte überwacht. Und so fuhren die Leute blindlings zu schnell, ohne von der Gefahr zu wissen. Das können wir korrigieren und tun wir in gewisser Weise bereits. In den USA hat die Regierung ein Office for Financial Research eingerichtet, das systemische Instabilitäten erkennen und Regulierungsmaßnahmen entwickeln soll, um diese Instabilitäten zu begrenzen. Seltsamerweise hatten wir niemanden, der diese Instabilitäten erforschte. Das ist der Lauf der Geschichte: Wir erkennen ein Risiko, eine Umweltgefahr etwa, und schaffen eine Umweltschutzbehörde. Genau das machen wir jetzt im Finanzsektor. Wir haben erkannt, dass systemische Risiken wichtig sind und wir haben Schritte zur besseren Früherkennung eingeleitet.

Wir müssen das System verbessern, sagen Sie. Und so wollen Sie das Finanzsystem nicht nur erweitern, sondern auch humanisieren und demokratisieren. Wie genau darf man sich das vorstellen? Momentan verbinden die wenigsten die Begriffe "human" und "demokratisch" mit dem Finanzsystem.
Angst ist eine grundlegende menschliche Emotion, die ihren Zweck erfüllt. Wir brauchen diese Emotion. Aber wir sollten uns nicht den Kopf zerbrechen über Risiken, die ein Finanzsystem durch breite Auffächerung gut beherrschen kann. Die Genialität des Finanzsystems besteht im Wesen darin, dass einzelne Unternehmen sehr große Risiken eingehen können, weil diese auf viele Investoren verteilt werden.

Eine junge Firma, die eine risikoreiche Gewinnchance sieht, holt sich Geld von einer Investmentfirma oder einer Bank, die dann Strukturen schafft, um Manager und Angestellte vor den eingegangenen Risiken der Firma in Schutz zu nehmen. Risikovermeidung ist ein fundamentaler menschlicher Wesenszug, der seinen Zweck erfüllt. Wir wollen aber verhindern, dass Leute vor Unternehmungen aus einer unnötigen Sorge über Risiken zurückschrecken. Wir wollen diesen Leuten sagen: Machen Sie! Probieren Sie aus.

Trend zur Ungleichheit

Sie propagieren die Verbreitung neuartiger Versicherungskontrakte, um Risiken des persönlichen Lebens abzusichern, damit die Menschen ohne Angst vor wirtschaftlichen Katastrophen abenteuerlustiger leben können. Ist Angst aber nicht ein wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Systems und der Hauptmotor unseres Konsums, damit wir unseren Status erhalten oder leicht verbessern können? Momentan, so schreiben Sie, ist die Angst so groß, dass keine bahnbrechenden neuen finanzwirtschaftlichen Erfindungen eingeführt werden können. Ist das nicht viel eher eine Machtfrage? Denn der Finanzkapitalismus funktioniert ja sehr gut für jene, die reich und mächtig sind, er verteilt gut um - von unten nach oben, wie uns zahlreichen Verteilungsstudien zeigen.
Es gibt einen aktuellen Trend in Richtung Zunahme von Ungleichheit, nicht nur in den USA, auch in Europa, überhaupt in großen Teilen der Welt. Dem müssen wir uns stellen. Mich bekümmert, dass dieser Trend sich über weitere Jahre fortsetzen könnte. Die heutige Ungleichheit wird uns sehr harmlos erscheinen verglichen mit jener der Zukunft. Dass die Gesellschaft diese Sache nicht ernst nimmt, finde ich sehr bedauerlich. Vielleicht glauben die Leute, dass Abwarten eine Lösung ist, im Falle einer Verschlechterung wird uns schon etwas einfallen. Damit kann ich mich nicht anfreunden.

Wenn man Finanzwirtschaft und Versicherungswesen betrachtet, wird einem klar, dass die grundlegende Lektion darin besteht, sich über zukünftige Katstrophen jetzt Gedanken zu machen, also bevor sie eintreffen, denn dann kann man sich dagegen versichern. Ihr Haus brennt nicht heute, aber sie schließen heute eine Feuerversicherung ab. Wenn das Haus einmal brennt, wird Ihnen niemand mehr eine Versicherung verkaufen. Die meisten Menschen sehen leider keine Parallele zwischen dieser Geschichte und dem Ansteigen der Ungleichheit.

Ich empfehle in meinem Buch "Märkte für Menschen", dass wir als Volk uns jetzt für einen Notfalls-Plan entscheiden für den Fall eines weiteren Auseinandergehens der Schere zwischen Arm und Reich. Wir sollten uns im Vorhinein auf eine Formel zur Besteuerung der Reichen einigen. Die kann sehr hoch sein, wenn nötig. Viele empören sich über den Plan des französischen Staatspräsidenten Francois Hollande, Einkommen über einer Million Euro mit 75 Prozent zu besteuern. Ich habe das Gefühl, dass das bei einer Zunahme der Ungleichheit kommen wird. Aber die Reichen, die politischen Einfluss haben, werden Widerstand dagegen leisten, also müssen wir das jetzt durchdenken und jetzt eine Struktur schaffen, um für den Ernstfall gerüstet zu sein.

"90 Prozent Steuerquoten für Reiche"

Große Hoffnungen setzen Sie in den Impuls zur Philanthropie. Menschen sollen Reichtümer anhäufen und diese dann weitergeben. Und zwar deswegen, weil sie auf Lob aus sind. Ist das nicht ein System, das außerhalb der USA wenig Tradition hat?
Die Philanthropie wurde nicht in den Vereinigten Staaten erfunden. Sie geht zurück auf christliche und muslimische Traditionen, da gab es die Regel, zehn Prozent des Einkommens für wohltätige Zwecke zu spenden. Philanthropie sollte weltweit anzutreffen sein, weil wir in einer Ära des Finanzkapitalismus leben. Und die grundlegende Motivation dieses Systems ist es, Reichtümer anhäufen zu können. Wenn ich vorhin über eine Reichensteuer gesprochen habe, dann meinte ich damit nicht, dass sie so hoch sein sollte, dass es keine reichen Menschen mehr gibt. Die Steuern sollen erhöht werden, aber die Menschen weiterhin die Sicherheit haben, dass sie viel verdienen können.

Die Absurdität des Finanzkapitalismus liegt darin, dass man nicht wirklich etwas tun kann mit einer Milliarde Euro Privatvermögen. Eine solche Summe kann man niemals für sich selbst ausgeben - ausgenommen für dumme Dinge, wenn man 20 Häuser kauft oder 1.000 Autos. Menschen, die solche Reichtümer angehäuft haben, müssen sie weitergeben.

Das optimale System, so wie ich es in meinem Buch beschreibe, ist eines, in dem wir in einer sehr ungleichen Welt sehr hohe Steuerquoten für Reiche haben, 90 Prozent oder mehr für Einkommen über einer Million Euro. Aber wir haben einen Absetzposten, einen Freibetrag für Wohltätigkeit. Wenn sie ihr Geld also spenden an zertifizierte Organisationen, dann müssen sie diese hohen Steuern nicht zahlen.

Das mag umstritten sein, aber Bill Gates ist ein gutes Beispiel. Er hat Milliarden Dollar verdient und verteilt diese nun über seine Wohltätigkeitsstiftung, anstatt sie an seine Kinder zu vererben. Er ist ein sehr kreativer und konstruktiver Philanthrop. Viele hassen ihn - immerhin hat er seine Milliarden mit sehr harten Geschäftsmethoden gemacht; auf der anderen Seite hat er uns bessere Computer gegeben und ist nun der größte Wohltäter der Welt. Ist das gut oder schlecht? Ich finde, wir sollten das zulassen. Wir werden in der Zukunft also möglicherweise sehr hohe Einkommen sehr hoch besteuern, aber wir werden auch einen großzügigen Steuervorteil für wohltätige Aktionen einräumen.

"Menschen sind komplizierte Tiere"

Gier oder mangelnde Ehrlichkeit lösten die Finanzkrise nicht aus, sondern strukturelle Mängel der Finanzinstitute, schreiben Sie. Das hieße, dass wir Gier und kriminelle Machenschaften auch in einem "guten" Finanzsystem haben werden. Wie sollen da künftige Krisen verhindert werden - oder werden die immer wiederkehren?
Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Krisen, periodisch auftretender Krisen, hervorgerufen durch menschliche Fehler - die meisten Kriege entstanden durch menschliche Fehler. Mit dem Finanzkapitalismus geht es in Richtung eines friedlicheren und stabileren Systems. Finanzkapitalismus akzeptiert ein selbstsüchtiges Element im menschlichen Verhalten. Wir tendieren dazu, freundliche und großzügige Menschen zu idealisieren. Aber ich glaube, die meisten Menschen sind eine Mischung aus verschiedenen Charakterzügen. Manchmal sind sie egoistisch, sogar Heilige sind das mitunter. Wir wollen also ein System, das nicht zu optimistisch ist in Bezug auf menschliches Verhalten, das aber anerkennt, dass Menschen auch eine freundliche und großzügige Seite haben.

Wir Menschen sind komplizierte Tiere, und die Art und Weise, wie wir uns verhalten, passen wir an unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen an. Der Finanzkapitalismus ist eine institutionelle Rahmenbedingung, er bietet den Menschen ein konstruktives Ventil für ihr Bedürfnis nach Konkurrenz. Die Menschen sind wettbewerbsorientiert und haben ein Bedürfnis nach Status, sie wollen Aufregung, wollen etwas ausprobieren, Abenteuer erleben und ich glaube, der Finanzkapitalismus lässt das Ausleben all dieser Gefühle zu. Manchmal mögen wir die Ergebnisse dieses Tuns nicht, und manchmal gehören die Akteure ins Gefängnis, aber normalerweise führt dies zu einer Situation, mit der wir leben können. Und es führt zu einer wohlhabenden, gesunden und gebildeten Gesellschaft, in der wir schließlich alle leben wollen.

Service

Robert Shiller, "Märkte für Menschen. So schaffen wir ein besseres Finanzsystem", aus dem Englischen übersetzt von Petra Pyka, Campus Verlag

Campus - Märkte für Menschen