Roman von Bodo Kirchhoff

Die Liebe in groben Zügen

Mit der Liebe befasst sich Bodo Kirchhoff in seinem neuen Roman, freilich nicht mit schwärmerischer Romantik, sondern mit der reifen Form der Liebe: Renz und Vila sind seit vielen Jahren verheiratet, ihre Ehe basiert nicht mehr auf Liebesschwüren und Sehnsuchtsmomenten, sondern auf den kleinen Ritualen des Alltags und auf dem Wissen darum, wie viel Freiraum der andere braucht.

Bodo Kirchhoff weiß, wovon er spricht und hat auch auf seine eigenen, langjährigen Eheerfahrungen zurückgegriffen: "Ganz entscheidend ist, dass man dem anderen einen Raum gewährt, in dem er ganz allein für sich ist, und ihm diesen Raum seines Geheimnisses oder seiner Eigenart, seines Fremden, das man nicht durchschaut, dass man diesen Raum jemandem lässt. Das ist auf der einen Seite ein Zugewinn an Freiheit und auf der anderen Seite natürlich auch eine Last an Einsamkeit, aber ich glaube, das ist eine wichtige Voraussetzung, dieser Respekt, dass man das andere im Anderen nie gänzlich durchdringt."

Diese Balance haben Renz und Vila in ihrer Ehe gefunden. Beide arbeiten für das Fernsehen, Renz schreibt Drehbücher für Vorabendserien, Vila moderiert eine Kultursendung. Ihr Leben verläuft scheinbar ruhig und geordnet - bis sie ihr Haus am Gardasee an den ehemaligen Lehrer Kristian Bühl vermieten, der dort ein Buch über Franz von Assisi und die heilige Klara schreiben will. Vila verliebt sich mit ungeahnter Heftigkeit in Bühl, während Renz eine Affäre mit der krebskranken Produzentin Marlies beginnt, und Bodo Kirchhoff schildert all dies in seiner langsamen, verschlungenen und sehr intensiven Prosa.

Keiner bekommt, was er will

Für beide jedoch bringen ihre Affären einige Schwierigkeiten mit sich - denn letztlich bekommt keiner das, was er erwartet hatte. "Renz hat mit einer normalen Affäre gerechnet, und die hat er nicht bekommen", so Kirchhoff. "Und Vila hat mit gar nichts gerechnet und hat etwas bekommen, hat aber dann - sagen wir mal - mit einem anhaltenden Liebesrausch gerechnet und hat nicht damit gerechnet, dass Bühl gar nicht imstande ist, anhaltend zu lieben."

Denn Kristian Bühl muss seine eigenen Kämpfe ausfechten, Kämpfe mit seiner Vergangenheit, mit Erinnerungen an seinen Jugendfreund und an den sexuellen Missbrauch, dem er als Schüler ausgesetzt war. Auch hier hat Bodo Kirchhoff auf seine Biografie zurückgegriffen und seine diesbezüglichen, bitteren Erfahrungen einfließen lassen:

"Mir ging es auch darum, mal klarzumachen, wohin führt so etwas eigentlich unter Umständen, ja? Es ist ja nicht immer nur die Frage, was war irgendwann mal, sondern wie fädelt sich so ein sexuelles Schicksal, wie fädelt sich das eigentlich in eine Biografie? Und auch in eine sozusagen sexuelle Biografie und eine Liebesbiografie."

Franz von Assisi und die Heilige Klara

Die Geschichte von Bühl und Vila spiegelt Kirchhoff in einem anderen Liebespaar aus einem anderen Jahrhundert: in Franz von Assisi und der heiligen Klara, über die Kristian Bühl ein Buch schreibt und auf deren Spuren er durch Italien reist.

"Das ist - sagen wir mal - eines der ganz großen Sehnsuchtspaare, die es gibt, denke ich, in der Geschichte", meint Kirchoff, "und das andere ist, dass ich mich immer schon als Schüler auch mit ihm beschäftigt habe, weil ich einfach gewisse Parallelen sehe, so in diesem jugendlichen Wahn, auch in diesen Größenwahnphantasien, die er als junger Mensch hatte, das kann ich sehr gut nachempfinden, auch diese Konflikte, die er dann hatte und die Art, sie dann mit völliger Radikalität zu lösen; meine Form der Radikalität war, dass ich irgendwann so geschrieben habe, dass ich mehr oder weniger einen Bruch mit allem riskiert habe, was um mich herum war. Das waren einfach ähnliche Dinge."

Fast 700 Seiten umfasst der Roman, ein wahrlich umfangreiches Werk, in dem Kirchhoff sich ebenso gründlich wie bedächtig mit den verschiedenen Spielarten der Liebe auseinandersetzt. "Die Liebe in groben Zügen" hat er sein Buch genannt, und das mit gutem Grund: "Ich weiß, dass dort sehr viele Aspekte von Liebe erzählt werden, in diesem Buch. Und gleichzeitig, weiß ich natürlich, ist es nicht das Ganze. Das ist das eine, was den Titel rechtfertigt, und das andere ist, dass wirklich in der Liebe natürlich eine Gewalt steckt, dass sozusagen die Liebe auch dieses Grobe, Holzschnittartige hat. Wer liebt, ist rücksichtslos, man liebt nicht aus einer Stärke heraus, man ist auch nicht heroisch in der Liebe, wie Romeo und Julia, sondern man ist schwach, man ist eigentlich eher wie Adam und Eva, ja, man ist ein Verdammter der Liebe häufig auch, und gleichzeitig ist aber diese jede Gegenwehr ausschließende Schwäche für einen anderen wiederum der Keim für die Liebe, ja? Also darin liegt eine interessante Paradoxie. Genau die Paradoxie, die auch in dem Titel dann wieder drinsteckt."

Mit großem Einfühlungsvermögen geschrieben

Es ist ein sehr ruhiger Roman, dessen eigentliche Handlung im Inneren der Figuren abläuft. Nach außen bieten Renz und Vila weiterhin das Bild eines ganz normalen Paares, aber vor allem Vila verfällt Kristian Bühl immer mehr, ohne zu erkennen, dass die Dämonen seiner Vergangenheit ihn allzu sehr peinigen. Das große Glück finden weder Renz noch Vila, aber dafür erhalten sie etwas anderes: "einen Gewinn an Erkenntnis oder an Schmerz oder an begriffenem Schmerz", sagt Kirchoff. "Und ich denke, das ist die Brücke, die zwischen den beiden entsteht am Ende."

Mit großem Einfühlungsvermögen versetzt sich Bodo Kirchhoff in seine Figuren, die ihm im Lauf der jahrelangen Arbeit sehr ans Herz gewachsen sind - so sehr, dass es für ihn schmerzhaft war, sie loslassen zu müssen. Diese Liebe des Autors zu den Charakteren seines Romans spürt auch der Leser. Es ist eine Liebe, die sich wie ein feiner roter Faden durch das Buch zieht und ebenso klar wie unaufdringlich die darin enthaltene Botschaft transportiert.

"Ein Leser, der dieses Buch oder eine Leserin, die dieses Buch ganz liest, die könnte für sich mitnehmen, dass man ein hohes Risiko eingehen muss, in der Liebe zu einem anderen Menschen, in der Zuneigung zu einem anderen Menschen, insofern, als man bereit sein muss, offenzulassen, was der andere eventuell nicht erfüllen kann. Und aus diesem Gefühl heraus den anderen noch mal mit ganz anderen Augen zu sehen."

Service

Bodo Kirchhoff, "Die Liebe in groben Zügen", Frankfurter Verlagsanstalt

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