Neues Wohnen in der Sargfabrik

Die Sargfabrik in Wien ist ein alternatives Wohnprojekt im 14. Bezirk, dessen offenes, gemeinschaftliches Wohnkonzept auch den geförderten Wohnbau beeinflusst hat. Aufgrund der großen Nachfrage nach Wohnplätzen wurde nur wenige Jahre später ein Tochter-Gebäude, die "Miss Sargfabrik" errichtet.

Initiiert wurden beide Bauwerke vom Verein für integrative Lebensgestaltung, dessen Mitglieder von Anfang an eng mit der Architektengruppe BKK-2 zusammengearbeitet haben, um ihre Wünsche und Ziele auch architektonisch umsetzen zu können. Ein an diesem Prozess maßgeblich beteiligter Architekt war Johann Winter. Er ist unlängst verstorben und wurde letzte Woche posthum mit dem Preis der Stadt Wien für Architektur ausgezeichnet.

Kulturjournal, 14.01.2013

  • Sargfabrik

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    (c) Sargfabrik

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  • Schornstein

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  • Balkone

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  • Ansicht von außen

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  • Blick durch Innenhof

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  • Spielplatz

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  • Teich

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  • Aussenbereich

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  • Blick in den Wohnraum

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  • Gastgeberin

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  • Blick in den Wohnraum

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Felicitas Konecny, eine Bewohnerin der Sargfabrik, zeigt ihr Zuhause gerne her. Die Gastfreundschaft gehört zum Konzept des Wohnprojekts. Daher ist auch gleich beim Eingang des orangefarbenen Gebäudes ein Café positioniert, die Visitenkarte der Sargfabrik, meint Konecny.

Im Café führt eine breite Treppe zu einem Sitzbereich mit Freihand-Bibliothek für die Besucherinnen und Bewohner. Außer der Bibliothek gibt es auch eine für alle Bewohner zugängliche Küche, Arbeitsräume, Waschküchen, Spielplätze und Gartenflächen. Darüber hinaus gibt es ein - auch für Außenstehende offenes - Badehaus und einen Veranstaltungssaal, wo internationale Musikgruppen auftreten. Und es gibt einen mehrsprachig geführten Kindergarten mit Hort, den auch Kinder aus der Nachbarschaft besuchen.

Organisiert wird all das vom Verein für integrative Lebensgestaltung, also von den Bewohnern und Bewohnerinnen selbst. Sie waren bereits in die Planung eingebunden, und sie beschließen auch heute noch, welche Initiativen im sozialen und kulturellen Bereich gesetzt werden, was saniert wird und wie sehr ökologisches Engagement leistbar ist. Selbstverwaltung nennt man das.

"Lebendiger" Innenhof

Felicitas Konecny selbst ist in der Arbeitsgruppe "Junge WG" aktiv, die eine Wohngemeinschaft für 20- bis 30-Jährige einrichtet. Denn an Mitbewohnern dieser Altersgruppe fehle es zurzeit. Die Sargfabrik funktioniert ähnlich wie eine Genossenschaft: Man zahlt einen Grundbeitrag ein und man zahlt Miete, Eigentümer der Liegenschaft bleibt jedoch die Gemeinschaft.

"Wenn ich hier nach Hause komme, habe ich immer ein bisschen ein Urlaubsgefühl", sagt Konecny. "Im Sommer sind das dreimal so viel Blumenkisteln und der ganze Bereich ist grün und lebendig mit den Fahrrädern und dem Kinderspielzeug - damit die Kinder gleich mit dem Spielen starten können."

In der Mitte des Hofs, der selbst im Winter wohnlich wirkt, ist ein flaches Wasserbecken. Die Wohnräume, die um das Wasserbecken angeordnet sind, haben Glaswände und sind daher durchgehend einsehbar. Nur manche Stellen sind mit Vorhängen verdeckt. Felicitas Konecny schätzt dieses offene Wohnen, das von Anfang an von den Gründungsmitgliedern der Sargfabrik gewünscht wurde: "Es war die Überlegung, dass es leichter ist, miteinander in Kontakt zu treten und auch spontan miteinander Umgang zu haben, wenn die Verbindungstür nicht nur ein Guckloch mit dem Spion hat."

Kochen für die WG

Felicitas Konecny wohnt - gemeinsam mit sechs anderen Erwachsenen - in der sogenannten "großen WG". Wie auch die kleineren Wohneinheiten, sind die Zimmer der Mitbewohner um einen zentralen, geräumigen Wohn- und Essbereich angeordnet. Alle Wohnungen sind zweigeschoßig organisiert: Im Wohnbereich mit doppelter Raumhöhe gibt es eine Galerie, über die man zu den einzelnen Schlafräumen im oberen Geschoß gelangt.

"Mein Individualbereich sind 30 Quadratmeter. Auf Erdgeschoßniveau sind es 18 und dann eine interne Treppe hinauf. Von dort habe ich wieder eine Tür hinaus in den Gemeinschaftsbereich. Da haben wir vor allem unsere Bücher."

Drei der sieben Leute in der großen WG sind seit der Gründung hier. Die Fluktuation hält sich in Grenzen - und das ist erwünscht: "Eine der Achsen des Zusammenlebens ist, dass am Abend möglichst immer wer kocht." Die Liste dafür klebe am Kühlschrank, so Konecny. "Der gewünschte Fall ist, mit dabei zu sein."

Alles neu außer dem Schlot

Bereits in den 1980er Jahren fand sich eine erste Gruppe zusammen, die alternative, partizipative Wohnmodelle diskutierte. 1989 wurde das Grundstück gefunden und erworben. Anfänglich wollte man die bestehenden Gebäude, eben eine ehemalige Sargfabrik, adaptieren, doch das erwies sich als zu teuer und unökologisch.

Von der alten Anlage ist heute bis auf einen Fabrikschlot nichts mehr zu sehen. Dass die neu gebauten Gebäudeteile erst 1996 eröffnet werden konnten, hängt sowohl mit dem basisdemokratischen Planungsprozess zusammen, als auch mit dem Misstrauen, das dem Projekt seitens jener Anrainer entgegengebracht wurde, die Wohnexperimenten wohl nicht viel abgewinnen konnten. Doch das Angebot, das Badehaus und auch den Kindergarten zu nutzen, hat die Nachbarschaft sicher versöhnlich gestimmt, meint Felicitas Konecny.

Pionier für Wohn-Heime

Für Beachtung sorgte zur Zeit der Errichtung der Umstand, dass die Sargfabrik als Wohnheim deklariert wurde und somit über die sogenannte Heimförderung aus öffentlicher Hand mitfinanziert werden konnte. Dies sei jedoch kein Kunstgriff der Architekten bei der Einreichung gewesen, meint Felicitas Konecny, sondern entspreche den Tatsachen. Wie in einem Wohnheim sind hier die Gemeinschaftsflächen größer - zum Nachteil der individuell genutzten Quadratmeter.

Das Modell Sargfabrik, meint Konecny, könne Anregungen für den geförderten Wohnbau geben: "Ich habe den Eindruck, dass sich der geförderte Wohnbau schon sehr viel abgeschaut hat. (...) Jetzt machen wir ein Hausfest. Das ist schon die Grundlage, dass sehr viel Positives passieren kann. Wo soll man sich begegnen?"

In den 1990er Jahren war die Sargfabrik eine Pionierleistung, heute ist es nichts Ungewöhnliches, dass sich Baugruppen bilden und Wohnprojekte - etwa für alte Menschen oder Alleinerziehende - den Bedürfnissen der Bewohner entsprechend gebaut werden.

Immer wieder hinterfragen

Die Sargfabrik, so zeigt ein Besuch heute, 16 Jahre nach der Errichtung, ist ein Beispiel dafür, wie eine Lebenshaltung architektonische Entsprechung finden kann, und wie - umgekehrt - die Architektur das Zusammenleben von Menschen beeinflussen kann. Dennoch muss das gelungene Experiment hin und wieder hinterfragt werden, meint Felicitas Konecny:

"Wozu machen wir das eigentlich? Wie stellen wir uns vor, dass sich das Projekt entwickelt? Es geht nicht nur ums 'Schöner wohnen', gemütlich alt zu werden, sondern es gibt eine stärkere und größere Idee, und wie können wir die in die Zukunft projizieren, und was heißt das für die zukünftige Arbeit?"

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