Aaron Swartz und die Befreiung des Wissens

Am 11.Januar 2013 nahm sich Aaron Swartz das Leben. Er war erst 26, aber bereits ein Held der offenen Wissensgesellschaft. Aaron Swartz litt bereits seit langem an Depressionen. Es ist jedoch anzunehmen, dass sein Freitod etwas mit der Verfolgung durch das US-Justizministerium zu tun hatte.

Aaron Swartz stand unter Anklage des US-Justizministeriums wegen Verstößen gegen das Urheberrecht und Hackergesetze, was im Fall einer Verurteilung zu Freiheitsstrafen von bis zu 35 Jahren hätte führen können. Swartz hatte sein Leben in den Dienst der freien Information und des offenen Wissens gestellt.

Aaron Swartz

Schon mit 14 Jahren hatte Aaron Swartz geholfen, RSS - eine Technologie zur leichteren Verlinkung von Inhalten - zu entwickeln. Er setzte sich für freien Zugang zu Regierungsinformationen und gegen ein Gesetz zur Internetüberwachung ein.

(c) Sage Ross, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license

Im Winter 2010-2011 gelang es ihm angeblich, seinen Laptop in einen Rechnerraum der Bibliothek des Bostoner MIT zu schmuggeln. Mittels eines kleinen Computerprogramms soll er über einen Zeitraum von mehreren Monaten bis zu vier Millionen an PDFs mit wissenschaftlichen Artikeln heruntergeladen haben. Er soll das aus Protest dagegen getan haben, dass universitäre Forschung nur gegen Bezahlung zugänglich gemacht wird.

Die Artikel stammten allesamt von JSTOR, einer Webplattform, die den Zugang zu 1.500 wissenschaftlichen Journalen mit über acht Millionen Artikeln ermöglicht. Bis vor kurzem war das Lesen von Artikeln nur Subskribenten möglich. So konnten etwa Studenten von Universitäten, die bei JSTOR pauschale Mitgliedsbeiträge bezahlten, die Plattform durchsuchen, Artikel lesen und auch herunterladen.

Für die Universitäts-Bibliotheken sind diese Subskriptionen eine große finanzielle Bürde, die bis zu 65 Prozent ihres Budgets verschluckt. Für Nicht-Mitglieder ist der Zugang extrem teuer, und kostet, je nach Journal, oft 15 Euro und mehr für einzelne Artikel. Inzwischen gibt es ein neues Programm, das registrierten NutzerInnen auf JSTOR erlaubt, alle 14 Tage drei Artikel gratis online zu lesen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Lockerung der Bedingungen auf Aaron Swartz zurückzuführen ist. Bereits 2008 hatte er ein "Guerilla Open Access Manifesto" verfasst. Darin heißt es, " das gesamte wissenschaftliche und kulturelle Erbe wird digitalisiert und von einer Handvoll an Privatunternehmen eingesperrt." Deshalb sei es die Pflicht aller, "Informationen, wo auch immer diese gespeichert sind, zu nehmen, zu kopieren und in Umlauf zu bringen.

Dem MIT gelang es, Swartz auszuforschen. JSTOR war der Vorfall offenbar peinlich, denn nachdem Swartz die Daten zurückgab, beschlossen sie, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen. JSTOR gehört zu einer nichtkommerziellen Organisation namens Ithaka, die es sich zum Ziel gesetzt hat, wissenschaftliches Arbeiten durch den Einsatz digitaler Werkzeuge zu verbessern.

Aaron Swartz

Wir müssen wissenschaftliche Artikel herunterladen und sie auf Filesharing-Netzwerken verbreiten", schrieb Swartz. Der beherzte Aufruf zum zivilen Ungehorsam im Namen einer offenen Wissensgesellschaft machte den Autor zur Zielscheibe des US-Justizministeriums.

(c) Daniel J. Sieradski, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

Swartz Aktion lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass das Geschäftsmodell von JSTOR jedoch die Gratisarbeit von AutorInnen und Peer-ReviewerInnen ausnützt, profitorientierten Verlagen zu höheren Umsätzen verhilft, während zugleich die große Mehrheit der Menschen vom Zugang zu diesem Wissen ausgeschlossen bleibt. Diese Praktiken stehen im Widerspruch zum Ethos der Universität als öffentlicher Einrichtung, wo mit größtenteils öffentlichen Geldern Forschung betrieben wird.

Die Privatisierung des Wissens ist jedoch ein langer Prozess, der in den letzten beiden Jahrzehnten erst so richtig Fahrt aufgenommen hat. An der Spitze stehen akademische Verlage wie Elsevier oder Wiley, die es geschafft haben, das Wesen des akademischen Publizierens von Grund auf zu verändern. In der Vergangenheit waren akademische Journale eine aus kommerzieller Sicht wenig attraktive Angelegenheit, wobei akademisches Spezialwissen für ein ebenso spezialisiertes Publikum aufbereitet wurde.

Die Verlage verstanden es jedoch, mit neuen Business-Praktiken hohe Gewinne zu erzielen. So werden unverzichtbare Titel mit wenig interessanten gepaart und Universitäten gezwungen, diese im Bündel zu kaufen. Ärmere Institute, die sich die exorbitanten Preise nicht leisten können, werden gnadenlos von der Quelle des Wissens abgeschnitten. Die wissenschaftlichen Großverlage machten in den vergangenen Jahren trotz Wirtschaftskrise und Budgetkürzungen im Bildungssektor Milliardengewinne.

Obwohl JSTOR von einer Anzeige von Aaron Swartz absah, wurde der Fall von Bundes-Staatsanwältin Carmen M. Ortiz aufgegriffen. In einer Pressemeldung anlässlich der Anklageerhebung schrieb sie "Diebstahl ist Diebstahl, egal ob man dazu einen Computer oder ein Brecheisen benutzt, ob man Dokumente, Daten oder Dollars stiehlt, und auch unabhängig davon ob man das Diebesgut verschenkt oder verkauft." Neben Gesetzen zum Urheberrecht benutzte die Anklage vor allem ein Gesetz gegen Computerbetrug, das mit drakonischen Strafen verbunden ist.

Warum Aaron Swartz genau sich das Leben nahm, kann niemand wissen. Seine Familie schrieb in einer offiziellen Stellungnahme jedoch, dass sein Tod "nicht einfach eine persönliche Tragödie ist", sondern: "Ergebnis eines Strafverfolgungssystems, in dem Einschüchterung an der Tagesordnung liegt."

Viele Internet-Prominente meldeten sich zu Wort. Anwalt und Creative-Commons-Mitbegründer Lawrence Lessig meinte, dass das Justizministerium sich tyrannisch verhalten habe. Die Anklage sei "völlig überzogen". Die Internet-Community trauert nun. Und neben zahlreichen Artikeln, Blog-Postings und Petitionen ist die wohl signifikanteste Aktion ein Aufruf an alle Akademiker, ihre Artikel mittels Twitter-Hashtag #pdftribute zum freien Download ins Netz zu stellen, so dass diese gesammelt unter http://pdftribute.net/ erscheinen.

Trotz des traurigen Anlasses könnte daraus so etwas wie ein Anfangsereignis einer neuen Entwicklung werden, mit der die akademische Forschung aus der Umklammerung der Verlage befreit wird.

Text: Armin Medosch, Autor und Medienwissenschaftler

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