Kantönligeist versus Globalisierung

Die "Café Sonntag"-Glosse von Armin Thurnher

Als gebürtiger Westösterreicher sollte ich wissen, was ein Kantönli ist. Ein kleines Bundesland, ein Gliedstaat, sagen die Schweizer. Was aber ist der Kantönligeist?

Ein Ungeist, versichert man uns. Engstirnig, kleinkariert, borniert, lokalpatriotisch. Immer nur die eigenen Interessen im Auge, keinen Blick fürs große Ganze.

Das Kantönli richtet den Blick nach innen, auf sich selber. Es blendet alles andere aus. Das Kantönli ist eine Welt für sich. Es geht dem Kantönli aber nicht darum, die beste aller Welten zu sein. Etwa, indem es durch effizientere Verwaltung die Steuerlast von der Bürgerschaft nähme. Vielmehr muss sich das Kantönli nachsagen lassen, es blähe die Verwaltung des Schweizer Staatswesen über Gebühr auf, 26 Kantone für einen Staat von acht Millionen, das schlägt unsere neun Bundesländer bei weitem.

Zum Kantönli kann man auch Filz sagen. Filzli eher nicht. Das Kantönli ist stets bereit zum Steuerwettbewerb, zum Beispiel, um mehr Einnahmen zu lukrieren als das Nachbarkantönli. Dabei geht es nicht um die Steuern der Kantönlibewohner, sondern vielmehr darum, Steuerflüchtlinge aus anderen Ländern durch günstige Angebote anzulocken.

Das Kantönli Zug zum Beispiel hat das Geld des Frank Stronach angelockt, der natürlich etwas von diesem Geld in Österreich versteuert, aber eher symbolisch, damit er sich hierzulande lautstark und kopfrot einen "österreichischen Steuerzahler" nennen kann. Der Rest seines Geldes hat den Zug nach Zug, wo Stronach einen Briefkasten besitzt und seine Kohle zum günstigen Satz versteuert

Einen "Steuerdschungel" hat Jean Ziegler wegen solcher Besonderheiten einmal das Kantönlikonglomerat Schweiz genannt. Das war vor über 20 Jahren, und er hat damals prophezeit, dass es die Schweiz AG im Jahr 2010 nicht mehr geben werde.

Jean Ziegler hatte Unrecht. Aber er hat im Unrecht Recht behalten, denn er hat das Recht der Zukunft auf seiner Seite, und das Recht der Globalisierung. Er spricht für die Armen und gegen jene, die Armut verursachen, weil sie arme Länder ausbeuten oder ihr Steuergeld aus ärmeren Staaten in Sicherheit bringen. Ins Kantönli.

Nun ist es aber nicht so, dass die Globalisierung und das Kantönli im Widerspruch zueinander stehen. Im Gegenteil: Es gibt nur die Globalisierung des Rechts. Vorherrschend ist die Globalisierung des Eigennutzes. Ja, die Universalisierung der Gier und die Weltumspannung des Bereicherungssinns prägen den Weltgeist. Und dieser Weltgeist ist nichts anderes als Weltkantönligeist.

Die großen Staaten und Staatenbünde setzen den Kantönligeist nicht außer Kraft; im Gegenteil: sie geben ihm Deckung oder lassen sich von ihm infizieren. Größe allein ist keine Garantie gegen Eigennutz und Engstirnigkeit, Gier und kurzsichtige Profitsucht. Das kantönlihafteste aller Kantönlis heißt Goldman Sachs. Diese Investmentbanker sind insofern ein Exempel von Kantönligeist, indem sie nämlich auf Kosten der Weltgemeinschaft alle Vorteile für sich beanspruchen. Goldman-Sachs-Leute manipulieren Staaten, führen Staatenbünde hinters Licht, zocken Länder und Gemeinden ab.

Insofern sind Globalisierung und Kantönligeist kein Widerspruch. Den Kanton aber wollen wir genau vom Kantönli unterscheiden. Der Eigensinn, der sich in der kleinen Öffentlichkeit ausspricht und für sein Recht eintritt, weist urdemokratischen Charakter auf. Die Widerspenstigkeit eines Jean Ziegler ist genauso schweizerisch, wie sie dem bornierten Kantönligeist widerspricht. Und die Idee für eine gerechtere Welt entsteht nicht an der Börse, sondern in kleinen demokratischen Öffentlichkeiten. Kanton und Kantönli existieren nebeneinander, überall, nicht nur in der Schweiz. Und so wie Jean Ziegler sich entschieden hat, müssen auch wir uns entscheiden, wem wir zugehören wollen.