Niko Paech zur Postwachstumsökonomie

Befreiung vom Überfluss

Niko Paechs schmales, gerade mal 150 Seiten umfassendes Bändchen, beschreibt den Mechanismus der "Wachstumsmaschine", den Zusammenhang von Ökonomie und Ökologie und Alternativen zu unserem heutigen Wirtschafts- und Wohlstandsmodell, das, wie der Autor meint, keine ernstzunehmende Option mehr sein kann für die Gestaltung moderner Gesellschaften.

Ohne Wachstum keine Vollbeschäftigung?

"Wir müssen alles tun für mehr Wachstum." - "Wir müssen in diesem Land bereit sein, möglichst hohe Wachstumsraten zu erzielen." Das propagierte vor nicht allzu langer Zeit eine prominente Politikerin: die deutsche Bundeskanzlerin.

Merkels Forderungen hätten freilich auch andere formulieren können, Rajoy, Hollande oder Faymann zum Beispiel. Denn egal, ob links oder rechts, grün oder liberal, alle sind sich einig: ohne Wachstum keine Vollbeschäftigung, ohne Vollbeschäftigung kein Wohlstand, ohne Wohlstand keine Investitionen in Umweltschutz, Bildung und Kultur. Fast alle. Denn nicht zuletzt angesichts Verschuldungskrise, Ressourcenknappheit und Klimawandel mehrt sich die Zahl derer, die vom Wohlstand ohne Wachstum sprechen, von Schrumpfungsprozessen und Postwachstumsökonomie. Wie Niko Paech.

"Es ist so, dass die Ressourcenverbräuche, aus denen sich unser Wachstum bislang gespeist hat, so nicht mehr aufrecht erhalten werden können", sagt Paech. "Vor allem beim Öl ist es so, dass wir das Fördermaximum erreicht haben. Wir haben aber auch Knappheiten an Fläche, an Wasser, an Kupfer und, ganz besonders, an sogenannten Seltenen Erden. Man muss sich klar machen, dass die letzten Entwicklungsstufen moderner Konsumgesellschaften sich vorwiegend speisen aus der Erschließung jener Märkte, auf denen Elektronik verkauft wird – Elektronik, die auf Gedeih und Verderb abhängig ist von Coltan, Palladium, Neodym und vielen anderen seltenen Metallen, die werden möglicherweise noch schneller knapp als fossile Rohstoffe."

Reduktion statt Wachstum

Warum aber ist das Wachstumsdogma obsolet geworden, wenn doch selbst die Grünen ein steigendes Brutto-Inlands-Produkt herbeisehnen?

"Ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt in der Erkenntnis, dass es nicht gelingt, über wirtschaftliches Wachstum die Ökosphäre weniger zu belasten oder nur so wenig zu belasten, wie es nötig wäre, damit eine nachhaltige Entwicklung – also so etwas wie ökologische Zukunftsfähigkeit – dabei herauskommt", so Paech. "Weil das so ist, gibt es nur einen Weg, nämlich die Reduktion - der Rückbau jener ökologisch zerstörerischen Systeme und Versorgungsstrukturen. Und die moderne Politik schafft es nicht, sie kann es nicht, es ist nicht vorgesehen im Zeitalter der Moderne, Reduktionsmaßnahmen zu beschließen oder gesellschaftlich anschlussfähig zu machen. Wir leben in einer Welt, in der Politik niemals etwas anderes bewirkt hat als Expansion. Das heißt, es gibt in modernen Konsumdemokratien eine Systemlogik, die darin besteht, dass alle politischen Institutionen verstrickt sind in einen Überbietungswettbewerb. Die Fähigkeit, über die Reduktion von Möglichkeiten Gesellschaft zu gestalten, die haben wir noch nicht."

Gerade darüber aber gilt es nachzudenken: über die Reduktion von Produktion und Konsum. Sie sei, glaubt Paech, "das einzig noch verantwortbare Gestaltungsprinzip für Gesellschaften und Lebensstile im 21. Jahrhundert", verstanden als "Befreiung vom Überfluss". Denn die Vorstellung von einem "grünen" Wachstum, einem Wachstum, das dank technischer Innovationen umweltverträglich ist, ist für Paech genauso unsinnig wie die Gleichsetzung von Konsum und Glück.

Konsum macht nicht glücklich

Wachstum bedeute stets ökologische Plünderung. Auch die Umstellung auf sogenannte regenerative Energien sei nicht zu haben ohne Flächenverschleiß, Einschnitte in die Biodiversität, energieintensives Installieren neuer Anlagen und Infrastrukturen und Entsorgen von Ausrangiertem. "Per se nachhaltige Technologien und Objekte sind schlicht undenkbar", sagt der Ökonom. "Allein Lebensstile können nachhaltig sein." Nicht aber konsumorientierte, die überdies krank machen:

"Damit Konsumgegenstände, damit Konsumhandlungen überhaupt eine positive emotionale Steigerung bei uns hervorrufen können - so könnte man Glück ja auch bezeichnen - muss ich diesen betreffenden Dingen, die ja nur Mittel sind zum Zweck der Glückssteigerung, Zeit widmen. Das führt zu einer prekären Situation. Nämlich, dass wir immer mehr Zeit aufwenden, um überhaupt zu navigieren im Ozean der Konsum-, Mobilitäts- und Telekommunikationsmöglichkeiten. Alleine das Identifizieren von Möglichkeiten, das Vergleichen, Abwägen, Entscheiden für oder gegen eine Option nimmt in unserem Leben schon so viel Zeit ein, dass kaum mehr Zeit übrig bleibt, um das zu tun, was man als 'glückliches Konsumieren' bezeichnen könnte. Das heißt, dass der Stress und die Überforderung, der wir ausgesetzt sind, weil wir so viele Optionen inzwischen uns angedeihen lassen können, im Prinzip schon dazu führen, dass die Gesellschaft krank wird."

Wenn wir festhalten an dem Prinzip der Nachhaltigkeit und den propagierten Klimazielen und dabei jedem Menschen das gleiche Emissionsquantum einräumen, dann würde das bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen ein CO2-Budget von 2,7 Tonnen pro Kopf im Jahr bedeuten. Die durchschnittliche Kohlendioxid-Bilanz eines Deutschen aber wird heute auf elf Tonnen pro Jahr geschätzt. Das Fazit kann nur heißen: Abschied vom Konsum- und Wachstumswahn, von unserer "hypermobilen Multioptionsgesellschaft". Aufbruch in die Postwachstumsökonomie.

Beschränkung auf das Nötige

Diese basiert auf zwei Prinzipien: dem der Suffizienz und dem der Subsistenz. Suffizienz bedeutet Beschränkung auf das Nötige. "Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht", meint Paech. Er schützt sich vor "Konsumverstopfung", vor der Abhängigkeit von Materiellem. Ein Weniger an Verbrauch bedeutet aber auch ein Weniger an Produktion. In der Postwachstumsökonomie wird die Industrie zurückgebaut. Paech spricht von einer Schrumpfung um etwa 50 Prozent:

"Und wenn wir das tun, dann sind wir von der 40-Stunden-Woche freigestellt. Wir können dann nur noch 20 Stunden arbeiten. Das klingt erst mal wie eine schlechte Nachricht, weil wir dann natürlich weniger Geld haben. Aber ich möchte noch mal in Erinnerung rufen: Wenn wir die Kunst der Suffizienz erlernen, brauchen wir sowieso weniger Geld und weniger Güter. Also fangen wir einen Teil der Reduktion schon damit auf, dass wir uns auf ohnehin weniger konzentrieren müssen, um überhaupt glücklich werden zu können."

Wer nur noch zwanzig Stunden in der Woche erwerbstätig ist, hat Zeit für anderes: für Gärtnern, Basteln, Reparieren, Kindererziehung, soziale Tätigkeiten, Kreativität. Das ist mit Selbstversorgung oder Subsistenz gemeint. Dazu gehört das eigene Herstellen, die Nutzungsdauerverlängerung von Dingen oder ihre Gemeinschaftsnutzung, wie Car-Sharing.

"Das heißt, dass wir auf der einen Seite noch Industrieprodukte benutzen, aber auf der anderen Seite über eigene Zeit, über handwerkliche Kompetenz und über das soziale Miteinander quasi aus diesen Produkten mehr herausholen", meint Paech. "Wir extrahieren auf intensivere Weise den Nutzen oder die glücksstiftenden Stimuli aus den Dingen - und dadurch, dass wir diese Dinge besser auspressen, brauchen wir viel weniger davon. Und dieses Zusammenspiel von urbaner Subsistenz und einer prägnant zurückgebauten Industrie ist ein erster Schritt in Richtung Postwachstumsökonomie. Selbstverständlich müssen noch weitere Schritte gegangen werden."

Den Umweltgedanken ernst nehmen

Was sonst noch eine Postwachstumsökonomie ausmacht, wird in Paechs kleiner, aber entschiedener Schrift nur gestreift. Schlagworte sind Verkürzung der Produktionsketten und der kapitalintensiven Wertschöpfungsstufen, De-Globalisierung und "Ökonomie der Nähe", Einführung von Regionalwährungen und Eindämmung der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken, Genossenschaften und Non-Profit-Unternehmen statt Aktiengesellschaften, Abschaffung von Subventionen, Bodenreform, Rückbau von Infrastrukturen und Bürgergeld oder Grundeinkommen, das an gemeinnützige Tätigkeiten und Bedürftigkeit geknüpft ist.

Mit seinem Entwurf einer auf Schrumpfung basierten Gesellschaft, die er für alternativlos hält, erweist sich Niko Paech nicht als weltfremder Träumer oder Sozialromantiker, sondern als nachdenklicher Ökonom, der Ernst macht mit dem Umweltgedanken – und selbst versucht, seinen Prinzipien gemäß zu leben. Vieles in seinen Ausführungen klingt überzeugend und plausibel, manches hätte man sich konkreter und ausführlicher gewünscht, vor allem, wie man die Ideen einer Postwachstumsökonomie Realität werden lassen kann, wenn auf die Politik nicht zu hoffen ist. Genügt es, wenn man seinen eigenen Lebensstil hinterfragt? Gibt es ein "richtiges" Leben im "falschen"? Soll jeder so radikal sein wie Raphael Fellmer?

Der Berliner hat sich aus dem Wirtschaftssystem weitgehend ausgeklinkt. Er ernährt sich von weggeworfenen Lebensmitteln und lebt ohne Geld. "Geldausgeben fördert Produktion und Umweltzerstörung", sagt Fellmer. Er wohnt gratis in einem Haus der evangelischen Kirche und revanchiert sich mit Gartenarbeiten, hilft bei Umzügen, renoviert und putzt. Er hat ein Foodsharing-Netzwerk gegründet und die Bewegung "Forward the Revolution". Denn das System, meint er, das System sei krank. "Unsere Idee ist, jeder macht die Sachen, die er kann, baut Möbel, pflanzt Gemüse an, massiert dich, repariert den Computer. Und aus diesem Pool können sich die anderen bedienen."

Fellmer ist längst da, wo Angela Merkel nie hin will: in seiner ganz privaten Postwachstumsökonomie, einem Leben jenseits des Überflusses, der Verschwendung, der absurden und zerstörerischen Hektik von Produktion und Konsumption.

Service

Niko Paech, "Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie", Oekom Verlag

Oekom - Befreiung vom Überfluss
Forward The Revolution

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