Utopie von Johannes Heimrath
Die Post-Kollaps-Gesellschaft
Johannes Heimrath, der zu den Pionieren der Neuen sozialen Bewegungen in Deutschland gehört, praktiziert seit mehr als 35 Jahren in einer "intentional Community" gemeinschaftliches Leben und Arbeiten. In seinem Buch zeichnet er nach, warum laut seiner These die Mächte, die den Globus beherrschen, nicht "mit Gutmensch-Rezepten zu bändigen" sind.
8. April 2017, 21:58
Die Kraft der Visionen
"Es kann nicht darum gehen, an irgendeiner Schraube jetzt noch zu drehen. sondern wenn wir es ganz, ganz nahe an uns heranlassen, dann müssen wir uns unseren Träumen stellen. ich sage dazu 'die Kraft der Visionen': ein Bild in mir zu erzeugen und es so lebendig werden zu lassen, dass alles, was ich tue, denke und fühle, in diese Richtung strebt", sagt Johannes Heimrath.
Heimrath hat selbst gewagt, wovon er spricht. Der studierte Musiker und Komponist ist Mitbegründer des Drachen Verlags und Chefredakteur der Kulturzeitschrift "Oya - anders leben, anders denken". Zudem lebt er seinen Traum eines gemeinschaftlichen Lebens. Mit seinem Buch macht er sich nun zu einem Vorreiter der Post-Wachstum-Debatte, denn dass es mit unserem System zu Ende geht, ist für den Autor keine Frage. Von den 300 Anmerkungen im Anhang bezieht sich mindestens die Hälfte auf Studien, die behaupten, dass es so nicht weitergehen kann.
"Die banalste Aussage ist: begrenzte Planetin, begrenzte Ressourcen - also wie kann da unbegrenztes Wachstum möglich sein?", fragt Heimrath. "Wachstum als materielles Wachstum in einem materiell begrenzten System kommt irgendwann an ein Ende, ob ich das will oder nicht."
Entweder Chaos oder...
Heimrath greift zur Erklärung auf die Chaostheorie zurück. Danach befänden sich unsere Gesellschaften aktuell in der Phase, die "Entscheidungsfenster" genannt wird, und bewegten sich unweigerlich auf den Chaospunkt zu.
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In einer kathartischen Phase des Zusammenbruchs, der Krise, hat die Menschheit - bei solider Vorbereitung - die einmalige Chance zur bewussten gemeinsamen Revolution bzw. Evolution in eine vollständig andere, nachhaltig gute, lebensfördernde und enkeltaugliche Welt hinein.
Viel wahrscheinlicher hält der Autor allerdings zwei andere Szenarien. Das eine davon sei ein langsamer Niedergang, bei dem die Gesellschaften ökonomisch und sozial ausbluteten. "Deshalb ist für mich auch der Schrecken nicht so sehr der Crash, der plötzliche, sondern das langsame Siechtum", sagt Heimrath, "das, was im Moment im Kleinen im Finanzbereich sichtbar wird, dass durch unendliche Rettungsversuche ein Zustand, der nach einem klaren scharfen Schnitt verlangt, verhindert wird. Und in dieser ganzen Zeit, in der man sich dahinschleppt, geht so viel, ich finde, auch Schätzenswertes verloren. E wird so viel Energie verheizt, die für den Neuaufbau fehlt."
Die kulturkreative Subkultur
Auch die Ideen der Green Economy, die Debatte um ein Grundeinkommen und andere soziale Reformen verfolgten eine Lösung nur innerhalb des bestehenden Systems. Nach Ansicht von Johannes Heimrath lässt sich dieses System jedoch nicht verbessern, sondern höchstens punktuell optimieren:
"Wenn etwas schlecht ist, und ich mache es etwas besser, dann ist es sicher besser als schlecht, aber es ist da noch nicht gut. "Wenn von der Regierungsseite gesagt wird, wir senken den Grenzwert für etwas, weil das dann gesünder ist, da muss ich sagen: warum Grenzwert? Warum etwas in die Welt bringen, das definitiv schädlich ist?"
Anders als einst die 68er-Bewegung hält Johannes Heimrath daher auch nichts von einem "Marsch durch die Institutionen": "Mein Ansatz ist ja der, dass ich sage: Lassen wir die machen! Kümmern wir uns erst Mal darum, wie wollen 'wir' eigentlich leben. Deses 'Wir' nenne ich die kulturkreative Subkultur, die sich schon dadurch auszeichnet, dass sie kein Mäntelchen hat, das man über alle drüber ziehen kann, sondern die aus der Diversität ihren Wert bezieht. es gibt ganz verschiedene Anschauungen, ganz viele unterschiedliche Fähigkeiten, unterschiedliche Erlebnisentwürfe. Das bedeutet, für jeden Fall ist eine Idee da, für jedes Problem gibt es Ansätze, es gibt für jede Herausforderung die richtigen Kräfte."
Schrecken ohne Ende
Für die übrigen Menschen sieht der Autor für die Zeit nach dem Kollaps nur ein Szenario: einen Schrecken ohne Ende.
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Vermögende Eliten sichern mit Privatarmeen ihr eigenes Überleben und unterhalten abgeschottete High-Tech-Inseln, um Mittel zur ständigen Kompensation der ökologischen Bedrohung durch eine ausgeplünderte Erde herzustellen. Es gibt keine öffentliche Ordnung und keine Möglichkeit zur Selbstorganisationen der Zivilgesellschaft mehr.
Dieses Szenario hält Heimrath für das wahrscheinlichste: "Wenn die Gesellschaft so unvorbereitet, wie sie im Moment ist, in diese Endphase dieser chaotischen Entwicklung geht, wird es ein Hauen und Stechen geben. Und wer dann als Störer der inneren Sicherheit gebrandmarkt wird, ist völlig offen: ist es derjenige, der sich sozusagen für das Gute einsetzt, der als Terrorist gilt? Oder ist es derjenige, der die Verhältnisse mit aller Macht und Gewalt beibehalten möchte? Es sieht im Moment so aus, dass die, die an der Macht bleiben wollen, nicht die Terroristen werden - sondern die, die dagegen arbeiten."
Neues Gesellschaftsmodell
Nur dem Häufchen der "kulturell Kreativen" oder "Kulturschöpferischen", wie sie der amerikanische Soziologe Paul Ray bezeichnet, könnte es gelingen, in ihren Enklaven ein Gesellschaftsmodell zu leben, das Heimrath "Commonie" nennt. Dieses Wunschszenario des Autors lehnt sich an seine eigenen Erfahrungen des gemeinschaftlichen Lebens an. Es geht um eine neue Art des Denkens und Handelns, die statt vom Konsum- und Nutzgedanken von Respekt und Achtung sowie Lebensfreude geprägt ist.
"Das bedeutet, wir finden so viele Freude in dem, was uns sowieso täglich zusammenführt, dass dieses, sagen wir mal, materielle Bedürfnis auf ganz wenige Dinge sich zurechtrüttelt", meint Heimrath. "Das ist eine Haltung. Und die können wir jetzt schon üben. Wenn wir jetzt anfangen, diese Haltung zu üben, werden wir plötzlich Fähigkeiten haben, die wir in der kommenden Kultur brauchen, essenziell brauchen. Und wenn wir das jetzt versäumen, wird es dieses Hauen und Stechen geben."
Not-wendige Technologien bleiben erhalten
Im dritten Teil seines Buchs untermauert Johannes Heimrath diese Denkansätze für eine neue radikale Welt mit semantischen, linguistischen, philosophischen Überlegungen und praktischen Beispielen. Erleichtert bis ungläubig liest man, dass es auch in einer "commonischen" Gesellschaft einen hohen Lebensstandard sowie Strom und Wärme geben wird.
"Wenn wir also wissen, wofür wir etwas brauchen, und es wirklich not-wendig ist - im Sinn des Wortes: also eine Not wendet -, dafür werden wir Technologien haben", sagt Heimrath. "Was aber nicht notwendig ist, wird wahrscheinlich in einen Bereich gehen, wo man sich gut überlegt, ob man das tut oder nicht, oder ob man stattdessen vielleicht einfach nett in der Sonne liegt und sich Geschichten erzählt. Keine Ahnung. jedenfalls Dinge tut, auf die Menschen immer scharf sind. und diese dann tun, wenn sie Freizeit haben."
Heimraths Buch ist kein handlicher Ratgeber. Im Zeitalter der Twitter-Kurzmitteilungen sind seine oft langen gewundenen Sätze gewöhnungsbedürftig. Und statt Patentlösungen zu liefern, wirft er Fragen auf. Johannes Heimrath weiß nur zu gut, dass seine Ausführungen zum Widerspruch einladen: "Da wird dann gesagt: Ja, was Sie sagen, das ist doch Utopie! Und da sage ich: Ja, stimmt! Solange mir nicht vorgeworfen wird, es ist Illusion, bin ich völlig zufrieden. Utopie hat für mich eine ganz, ganz gute Bedeutung bekommen. Ich nehme das im Blochschen Sinn als konkrete Utopie und da heißt es einfach, wenn genügend Menschen an die Verwirklichung dieser Utopie glauben, wird sie real.
Service
Johannes Heimrath, "Die Post-Kollaps-Gesellschaft. Wie wir mit viel weniger viel besser leben werden - und wie wir uns heute schon darauf vorbereiten können", Scorpio Verlag
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