Die Zustände bei Foxconn

iSlaves

Seit dem Ende der 1970er Jahre hat sich die Volksrepublik China zur sogenannten Weltfabrik entwickelt - ein Niedriglohnland, das den Menschen in anderen Erdteilen billige Konsumgüter beschert. Auch die Komponenten für iPads, iPhones, Smartphoes, Tablets, Notebooks, Laptops und andere technische Geräte werden inzwischen zu einem Gutteil in China hergestellt.

Ein führendes Unternehmen ist dabei Foxconn, eine Tochter des taiwanesisch-chinesischen Elektronikkonzern Hon Hai. Die in Hongkong lehrende Soziologin Pun Ngai hat mit einem Team von Wissenschaftlerinnen die Arbeitsbedingungen bei Foxconn untersucht.

Serie von Selbstmorden bei Foxconn

Bis Anfang 2010 war der Name Foxconn außerhalb der Elektronikbranche nur wenigen Leuten bekannt, doch dann brachte eine Serie von Selbstmorden Foxconn international in die Schlagzeilen. Binnen eines Jahres sprangen 14 Arbeiterinnen und Arbeiter in den Tod, vier überlebten mit teils schweren Verletzungen. Zu ihnen gehört Tian Yu, die seit dem Selbstmordversuch partiell gelähmt ist und ihr restliches Leben im Rollstuhl verbringen wird. 17 Jahre war sie alt, als sie sich am 17. März 2010 vom vierten Stock ihres Wohnheims im Foxconn-Fabrikbezirk von Longhua in die Tiefe stürzte. Es war der erste Job der 17-Jährigen gewesen, die nach dem Schulabschluss vom Dorf in die Stadt Shenzhen gezogen war, um dort Arbeit zu suchen.

Doch nicht alle halten dem Druck stand. Die langen Arbeitstage, die Monotonie und, wie Tian Yu selbst es ausdrückte, Langeweile und Sinnlosigkeit der Arbeit waren für sie von Beginn an kaum auszuhalten. Dazu kam die Einsamkeit.

Junge Frauen bevorzugt

Wie es bei Foxconn üblich ist, wurde auch Tian Yu mit Arbeiterinnen aus anderen Werken in einem Wohnheimzimmer zusammen untergebracht, um so die Chance auf Kontakt und Solidarität zu verringern. Als Tian Yu nach dem ersten Monat dann auch noch die Lohnkarte und damit der Lohn verwehrt wurde, sprang sie in die Tiefe. Sie war die jüngste der 18 Personen, die 2010 Selbstmord verübten oder den Versuch überlebten, die älteste war 25 Jahre alt. Unter den Opfern waren aber nicht nur Frauen, erzähl Pun Ngai:

"Für die Fabrikarbeit werden Frauen bevorzugt. Doch die große Nachfrage nach Arbeitskräften kann nicht mehr ausschließlich mit jungen Frauen gedeckt werden. Also werden auch Frauen über 24 und auch Männer eingestellt. Foxconn schließt darüber hinaus Verträge mit Colleges ab, die dann jedes Jahr Tausende Technikstudenten zu sogenannten Praktika zu Foxconn schicken. Tatsächlich werden die Studenten am Fließband beschäftigt und müssen die gleichen schwierigen Arbeitsbedingungen aushalten."

Strikte Kontrolle durch das Unternehmen

Die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter bleiben nur für kurze Zeit bei Foxconn und suchen dann anderswo einen neuen Job. Manche kehren binnen weniger Monate wieder zu Foxconn zurück, da auch das andere Unternehmen ihnen keine besseren Bedingungen bietet.

Immer häufiger ist es in den vergangenen Jahren auch zu Streiks, Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen in Foxconn-Unternehmen gekommen. Anlass waren in erster Linie die geringen Löhne, die überlangen Arbeitstage, die unfaire Behandlung sowie generell das militaristische Regime, das innerhalb der Betriebe geführt wird. Alle Lebensbereiche der Beschäftigten unterliegen der strikten Kontrolle des Unternehmens.

"Der Kampf um die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern ist sehr schwierig", sagt Pun Ngai. "Foxconn beschäftigt mehr als eine Million Menschen in China und ist typisch für heutige Prozesse der Kapitalakkumulation. Das Unternehmen hat es verstanden, die neuen Möglichkeiten, die Ende der 1970er Jahre mit der wirtschaftlichen Öffnungs- und Reformpolitik in China entstanden, von Anbeginn an geschickt für sich zu nutzen. Foxconn eröffnete bereits in der ersten Sonderwirtschaftszone, die in Shenzhen in Südchina entstand, eine Fabrik. Sehr bald begann Foxconn von der massiven Migration von Wanderarbeitern zu profitieren. Immer mehr Fabriken wurden in China eröffnet, und es gelang dem Management, Lokalregierungen untereinander in einen Wettkampf um die Neuansiedlung von Fabriken zu verwickeln. Die Lokalregierungen vertreten seither die Interessen des Kapitals, nicht die Interessen der Menschen."

Interessen des Kapitals haben Vorrang

Das Problem sind nicht die Arbeitsgesetze der Volksrepublik China, betont Pun Ngai, die sich bereits in zwei früheren Büchern - "Dagongmei" und "Aufbruch der zweiten Generation" - mit dem Schicksal der Wanderarbeiterinnen auseinander gesetzt hat. Die Gesetze sind Pun Ngais Recherchen zufolge in den vergangenen Jahren schrittweise verbessert worden. Doch wer hält sich daran?

"Die meisten dieser Gesetze können nie angewandt werden", meint Pun Ngai. "Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens hat sich das Wesen des Staates verändert. Der Staat hat sich auf die Seite des Kapitals geschlagen. Zweitens hat das Kapital eine unglaubliche Macht erlangt. Nicht einmal Vertreter der Lokalregierungen können die Foxconn-Unternehmen betreten. Nur in ein Vorzeigeunternehmen in Shenzhen werden Mitglieder von chinesischen Lokalregierungen sowie chinesische und westliche Medienvertreter eingelassen. Die Regierung in Peking kann Gesetze erlassen, wie sie will. Die Lokalregierungen kümmern sich nicht darum. Die Arbeitsbedingungen werden sich erst dann nachhaltig verbessern, wenn es den Arbeitern gelingt, eine starke Arbeiterbewegung aufzubauen."

Auch Pun Ngai und ihr Team erhielten auf ihr Ansuchen, Foxconn-Fabriken besuchen zu dürfen, keine Antwort. Ihre Untersuchungen mussten sie daher vor allem außerhalb der Fabrikmauern, in Wohnquartieren und an öffentlichen Orten durchführen. In ihrem Buch stellen sie und der Übersetzer Ralf Ruckau zunächst die Geschichte von Foxconn dar. Danach verbinden sie Analyse, persönliche Erfahrungsberichte von Arbeiterinnen und Berichte von Arbeitskämpfen zu einem eindringlichen Gesamtbild moderner Ausbeutung.

"Fehlentwicklung" Wanderarbeit

Foxconn ist dabei längst nicht mehr nur in China tätig, auch in Tschechien und Polen hat das Unternehmen inzwischen Fabriken errichtet. Diese werden in zwei Anhängen beleuchtet. "Wir plädieren für ein humaneres soziales Entwicklungsmodell. Die Wanderarbeit war eine epochale Fehlentwicklung", erklären die Autorinnen am Ende des Buches.

Wie aber stehen die Chancen auf eine gut vernetzte, landesweite Arbeiterbewegung? Auf eine chinesische Solidarnosc? Das, meint Pun Ngai, sei schwer vorherzusagen: "Ich kann nur sagen, dass es immer mehr Konflikte in der Gesellschaft gibt. Wir sprechen von mehr als 200 Millionen Wanderarbeitern. Wenn man auf deren Forderungen nicht eingeht, wird es immer häufiger zu Ausschreitungen kommen. Ich meine, wirklich gewaltsame Ausschreitungen mit Zerstörungen, nicht mehr nur Streiks. Streiks sind ja legal. Leute wie ich hoffen aber noch immer, dass es den Arbeiterinnen und Arbeitern gelingen wird, sich besser zu organisieren, und dass dann ernsthafte Gespräche über die Einhaltung der Gesetze, die die Zentralregierung in Peking ja erlassen hat, stattfinden können."

Service

Pun Ngai, Lu Huilin, Guo Yuhua, Shen Yuan, "iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken", aus dem Chinesischen übersetzt von Ralf Ruckau, Mandelbaum Verlag

Mandelbaum Verlag