Wissen und Glauben

Die "Café Sonntag"-Glosse von Gunkl

Das sind ja zwei unterschiedliche Dinge. Ein Unterschied besteht zum Beispiel darin, dass die, die wissen, wissen, dass es einen Unterschied gibt und die, die glauben, aber glauben, es gebe keinen Unterschied und Wissen sei nur eine arrogante Art des Glaubens.

Wissen und Glauben sind zwei Arten der Welt zu begegnen und sich mit ihr gedanklich auseinanderzusetzen und zu Aussagen über die Welt zu gelangen.

Die Aussagen sind in beiden Fällen nicht absolut und zu hundert Prozent bewiesen, und in der Wissenschaft wird das sogar offenkundig, weil hier das bisher gewusste immer wieder erweitert und nachgebessert wird, weil man jetzt eben etwas besser weiß. Wissen ist grundsätzlich vorläufig.

Alles, was man weiß, weiß man nur so lang, bis man es besser weiß. Und das macht die Wissenschaft auch zu so einem erfolgreichen Projekt. Ihre Aussagen sind nämlich überprüfbar. Man stellt Beobachtungen an und versucht herauszufinden, was diesem Phänomen zugrunde liegt. Da hat man dann ein paar Annahmen darüber, wie es dazu kommt, dass es so ist, wie es ist, und daraus entwickelt man dann ein paar Thesen, die ständig überprüft werden, bis man schließlich zu einer Theorie gelangt. Eine Theorie im wissenschaftlichen Sinn, wie zum Beispiel die Evolutionstheorie, das nicht irgendein, äh, tät ma halt sagen ich weiß jetzt auch nicht, aber wahrscheinlich irgendwie so ungefähr. Nein, eine Theorie ist das Beste, was in einem bestimmten Bereich überhaupt untersucht werden kann.

Eine Theorie erklärt das Zustandekommen von Fakten, und zwar, das ist wichtig, überprüfbar. Wenn die spezielle Relativitätstheorie stimmt, dann darf die Zeit in Satelliten nicht genauso schnell vergehen wie bei uns auf der Erde. Da muss ein Unterschied messbar sein. Wenn dieser Unterschied nicht messbar ist, muss man die Theorie verwerfen und nochmal nachdenken gehen. Aber der Unterschied ist feststellbar, also ist die Theorie nicht falsch. Wissen ist ziemlich abgesichert. Nicht absolut, aber solide überprüft. Und Wissen denkt die Dinge vom Anfang her. Ereignisse haben Resultate. Diese Resultate sind aber nicht das Ziel von diesen Ereignissen, so als hätte jemand oder eine Macht das genauso gemacht und geplant, nur damit dann genau dieses Resultat rauskommt, sondern das sind einfach Folgen von Ereignissen.

Glauben funktioniert anders. Glauben denkt die Dinge schon einmal vom Ende her. Da gibt es einen Zustand, und der ist aber so, wie man glaubt, nicht passiert, sondern zielgerichtet gemacht und der ist genau so gewollt. Weil es für uns Menschen nur sehr schwer erträglich ist in einer Welt zu leben, in der Sachen nur einfach so passieren. Als Folge von Ereignissen und nicht im Hinblick auf ein bestimmtes Ergebnis. Da wären wir der Welt, und nicht nur der Welt, wir wären insgesamt ein bissel wurscht, wenn Plattentektonik, Erdbeben und Gebirgsbildung nicht extra für uns gemacht worden wären. Damit wir uns fürchten oder bestraft werden oder in Lobgesänge ausbrechen. Da wären wir also echt wurscht, nämlich so wurscht, wie wir in diesem Rahmen tatsächlich sind. Das geht nicht. Da finden wir uns dann eine Instanz, die das alles extra macht. Für uns, damit wir daraus was lernen. Und was lernen wir?

Bescheidenheit lernen wir nicht. Einen Sonnenaufgang, den Sauerstoffgehalt der Luft oder das Vorhandenseins unseres Planetens insgesamt persönlich zu nehmen ist ziemlich größenwahnsinnig. Was da also geglaubt wird ist nicht nur eine Instanz, die die Dinge in der Welt anstellt, sondern vor allem die Gründe, die diese Instanz hat. Und diese Gründe sind sehr menschentypisch gedacht. Aber wenn das, was da passiert, komplett irrsinnig wird, dann sind die Gründe auf einmal geheimnisvoll. Der unergründliche Ratschluss des Herrn. Die Instanz kennt dann diese Gründe nur selbst, wir nicht. Klar, das wäre ja auch kein wirklich übergeordnetes Wesen, wenn es sich so einfach in die Karten schauen lässt. Der Islam war eine Zeit lang führend in der Wissenschaft. Bis zum 12. Jahrhundert. Dann hat ein sehr gläubiger Imam befunden, dass es nicht sein darf, dass einfach Naturgesetze da sind, die zum Beispiel dazu führen, dass etwas verbrennt, wenn man es ins Feuer wirft. Nein, hat er gesagt, das macht Gott. Und zwar jedes Mal neu und extra. Weil er es so will. Dass Sachen im Feuer brennen ist kein Naturgesetz, das ist jedes Mal von Gott so bestimmt. Und wer etwas anderes behauptet wird nach ortsüblichem Ritus als Ketzer getötet. Und ab da war der Islam nicht mehr führend in der Wissenschaft. Das Beispiel zeigt folgendes, nämlich: das Gegenteil von Wissen ist nicht Nicht-Wissen, das Gegenteil von Wissen ist Glauben. Weil : Nicht-Wissen ist der erste Schritt, sich neues Wissen anzueignen. Glauben ist der letzte Schritt, sich neuem Wissen zu verweigern.