Prix Goncourt für Jerome Ferrari

Predigt auf den Untergang Roms

Hat man Jerome Ferraris Buch gelesen, kann man über den Mut des Autors nur staunen. Und vor seinem schriftstellerischen Können den Hut ziehen. Denn dieser Roman ist im Grunde ein unmögliches Unterfangen.

Der Text mit dem hochtrabenden Titel "Predigt auf den Untergang Roms" spielt weder in Rom, noch handelt er vom Untergang des Weltreiches. Nein, er ist in Korsika angesiedelt und hat den Aufstieg und Fall einer kleinen Bar zum Inhalt. Dazu kommt Ferraris Stil. Gerne formuliert er Sätze, die über eine halbe Seite gehen. Und immer umgibt diese Sätze etwas Dunkles, Geheimnisvolles. Und dann - als dritte Unmöglichkeit - handelt dieser nicht einmal 200 Seite starke Text en passant auch noch die französische Geschichte des 20. Jahrhunderts ab.

Eine Bar auf Korsika

Libero und Matthieu sind zwei junge Männer, die in Paris Philosophie studieren. Aber das Studium befriedigt sie schon lange nicht mehr. Sie wollen nicht mehr länger nur denken - das führt auch zu nichts, wie sie feststellen mussten - sie wollen einmal in der realen Welt etwas Reales unternehmen.

Da trifft es sich gut, dass in einem kleinen korsischen Kaff eine Bar zur Pacht steht. In diese Bar kehren zumeist nur die Einheimischen ein; sie trinken einen Kaffee oder einen Pastis nach der Jagd. Die letzten Pächter sind alle gescheitert - aber Matthieu und Libero haben Erfolg. Auch weil sie vier junge hübsche Kellnerinnen engagieren. Und Annie, die vorher im Rotlichtmilieu gearbeitet hat, hat ein paar der dort erlernten Benimmregeln beibehalten. So fasst sie jeden männlichen Besucher beim Empfang ganz nebenbei an die Hoden.

Zuhause ist da, wo man ist

Zuerst noch wollen die beiden Pächter sie davon abhalten, aber der Erfolg gibt ihr Recht. Immer mehr Männer besuchen die Bar. Das klingt amüsant - ist es auch; aber man würde Ferraris Text Unrecht tun, wenn man ihn auf diese Anekdoten reduzierte, sie sind bloß am leichtesten nachzuerzählen. Und sie bleiben im Gedächtnis.

So wie jene Szene, als Matthieu und Libero ihren Erfolg feiern und in Barcelona einen drauf machen wollen. Sie warten am Flughafen auf ihren Flug; trinken ein, zwei, drei Biere - dann blicken sie sich an und beschließen, doch nicht wegzufahren. Denn endlich fühlen sich diese beiden Heimatlosen wohl. Da wo sie sind.

Dann gibt es jene archaische Szene, in der Ferrari genau beschreibt, wie früher die Eber kastriert wurden. Jedes Tier wurde mit reiner Kraft am Boden festgehalten, dann wurden ihm mit einem Taschenmesser die Hoden herausgeschnitten. Ein bestialischer Schrei - und dann trotteten die Schweine, so als ob nichts gewesen wäre, zu ihrem Trog. Am Schluss des Romanes kehrt Ferrari noch einmal zu dieser Szene zurück. Sie, die für die archaische Gewalt Korsikas genauso steht wie für die archaische männliche Gewalt bildet den Rahmen dieser Parabel von Aufstieg und Untergang. Denn eine Parabel ist dieser Text.

Pradies für kurze Zeit

So dicht konstruiert der Text auch ist, im Kern geht es darum, wie alles - anscheinend einer göttlichen Ordnung gleich - dem Abgrund entgegeneilt. Die Bar, sie ist für einen kurzen Moment das Paradies. Matthieu und Libero fühlen sich wohl, die Geschäfte laufen prächtig. Und auch an Frauen herrscht kein Mangel.

Als eine reine, fast geschwisterliche Liebe beschreibt Ferrari das Verhältnis, das Matthieu mit der spanischen Kellnerin eingeht. Sie lieben sich, sie schlafen miteinander, aber in der Bar achten sie stets darauf, keine Zärtlichkeiten auszutauschen. Aber wie es eben so ist mit den Paradiesen: Sie haben keinen Bestand.

Plötzlich beginnt die spanische Kellnerin ein Verhältnis mit dem Musiker Pierre-Emmanuel. Zu Beginn noch ein schüchterner Junge, der froh war, für ein bisschen Geld in der Bar Gitarre spielen zu dürfen, verwandelt sich Pierre-Emmanuel nach und nach in einen Widerling, der am liebsten mit seinen sexuellen Eskapaden prahlt. Und Matthieu bei jeder Gelegenheit vorführt, wie sehr dessen ehemalige Geliebte nun ihn vergöttert.

Alles zerfällt

Aber auch Matthieu und Libero haben sich verändert. Der Erfolg ist ihnen zu Kopf gestiegen. Die Zeit, in der alles möglich schien; als ihre Freundschaft über alles siegte, sie sich auf Korsika zuhause fühlten und ihre Bar ihnen wie das Universum erschien; diese Zeit ist vorbei. Am Ende gibt es einen Toten und die Bar wird zugesperrt.

Am Ende steht auch hier der Zerfall. Es bedurfte keiner barbarischen Horden, schreibt Ferrari. Keiner berittenen Vandalen oder Westgoten. Die Hölle, das mögen laut Sartre die anderen sein; der Untergang, das sind nach Ferrari wir selbst.

Service

Jerome Ferrari, "Predigt auf den Untergang Roms", aus dem Französischen übersetzt von Christian Ruzicska, Secession Verlag

Secession Verlag