Martynova-Roman "Mörikes Schlüsselbein"

Die russisch-deutsche Autorin Olga Martynova hat im vergangenen Jahr den Ingeborg Bachmann-Preis gewonnen. Die Jury überzeugt hat sie mit dem Ausschnitt aus einem Roman und dieses Kapitel entpuppt sich jetzt bei Erscheinen des gesamten Buches als kleine Episode in dem ausufernden, vielschichtigen Erzählwerk "Mörikes Schlüsselbein".

Morgenjournal, 23.4.2013

So viel gleich vorweg: Mit einer Inhaltsangabe kommt man diesem Buch nicht bei. "Mörikes Schlüsselbein" ist ein Romangebäude mit zahllosen Szenen und Episoden, Ortswechseln und Zeitsprüngen. Es treten auf: ein Agent, eine Ballerina, ein Schamane, ein Sinologe ohne Kurzzeitgedächtnis, und jede Menge Leute aus der Literaturbranche: Dichter, Übersetzer, Kritiker und Literaturwissenschaftler scharen sich um eine kunstvoll konstruierte Patchwork-Familie. Schauplätze des Geschehens sind unter anderem St. Petersburg, Frankfurt, Berlin, Tübingen, Chicago, New York und die asachische Steppe. Verhandelt wird nicht weniger als die Liebe und die Literatur, Traum und Wirklichkeit, Kultur und Identität - kurz: das ganze Leben.

Souverän, mit leichter Hand und mit rasanten Schnitten führt Olga Martynova den Leser, die Leserin in ein Labyrinth voller skurriler, phantasievoller Einfälle, anarchischem Witz, Assoziationen und Abschweifungen. Man staunt man über die Sprachkraft dieser Autorin, denn auf Deutsch schreibt Olga Martynova erst seit 15 Jahren.

Verehrter Daniil Charms

1962 bei Krasnojarsk in Sibirien geboren, ist Olga Martynova in Leningrad aufgewachsen, sie hat russische Sprache und Literatur studiert und begonnen, Gedichte zu schreiben. 1991 hat sie mit ihrem Mann, dem renommierten russischen Autor Oleg Jurjew Russland verlassen. Heute lebt sie in Frankfurt am Main, die Sprache ihrer Lyrik ist nach wie vor Russisch. Und auch in ihrer Prosa folg sie der Tradition der slawischen Literatur - allen voran: dem von ihr verehrten Daniil Charms, dem Meister der absurden Komik.

Über Russland, zu Putins Russland will sie nichts sagen, seit langem schon schreibt sie an einem Essay über ihre frühere Heimat. Bis dieses fertig ist, halten wir uns an "Mörikes Schlüsselbein". Erschienen ist der Roman im Grazer Droschl Verlag.