Robert Trivers erklärt Allzumenschliches

Betrug und Selbstbetrug

Die Evolution hat uns Menschen mit einer einzigartigen Fähigkeit zur Wahrnehmung und Informationsaufnahme ausgestattet, doch genau diese Informationen verfälschen und zerstören wir täglich, indem wir uns selbst und andere täuschen.

Nun mag es durchaus logisch erscheinen, dass wir in der Beziehung zu anderen zu einem Mittel wie der Täuschung greifen. Das Prinzip der Täuschung findet sich bei Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen; es dient der Fortpflanzung und dem Überleben, trägt damit wesentlich zur Selektion bei und garantiert letztendlich, dass unser eigenes Interesse durchgesetzt wird.

Aber warum belügen und täuschen wir auch uns selbst?

Mehr als nur eine Schutzmaßnahme

Selbsttäuschung ist laut Robert Trivers also viel mehr als nur eine Schutzmaßnahme. Wahre Information wird aus unserem Bewusstsein so gekonnt ferngehalten, dass wir uns selbst und damit auch andere perfekt manipulieren.

Die Anzeichen für eine aus der Selbsttäuschung entstandene Lüge sind vielseitig und daher nur schwer zu erkennen. Sie reichen von Nervosität, starrer Körperhaltung und längeren Denkpausen bis hin zu absoluter Selbstbeherrschung.

Die Kunst der induzierten Selbsttäuschung

Auch wenn das Prinzip der Täuschung und Selbsttäuschung weit in die Geschichte der Evolution zurückreicht, hat es sich durch den Menschen aufgrund seiner sprachlichen Fähigkeiten stark erweitert. Sprache ermöglicht es anderen, uns ihre Meinungen und Wünsche und letztlich ihre Taten aufzuzwingen. Die Psychologie bezeichnet dies als induzierte Selbsttäuschung.

Individuen, aber auch ganze Gruppen können sich durch diese Art der aufgezwungenen Selbsttäuschung niedriger stellen als andere. Gerade Führungspersönlichkeiten machen sich die Kunst der induzierten Selbsttäuschung zu Eigen, und können mit falschen Darstellungen Gefühle innerhalb einer Gruppe oder der Bevölkerung wecken - mit Gewalt und Krieg als möglicher Konsequenz. Robert Trivers beleuchtet diesen Zusammenhang zwischen Selbsttäuschung und Krieg sehr kritisch:

Je intelligenter desto manipulativer

Täuschung und Selbsttäuschung begleiten uns von Kindesbeinen an. Sowohl Eltern als auch Kindern dienen sie dazu, die eigenen Interessen durchzusetzen. Schon bei Kindern zeigt sich dabei deutlich, was sich auch im Erwachsenenalter oftmals bestätigt: Je intelligenter wir sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir andere bewusst oder unbewusst manipulieren! Diesen Prozess, so Robert Trivers, gilt es bewusst zu beobachten:

Täuschung mag, indem sie von anderen durchschaut wird, durchaus unangenehme Folgen haben. Doch gerade die Selbsttäuschung wirkt sich negativ auf unser Immunsystem aus. Dies lässt sich besonders gut an den Faktoren Homosexualität und HIV untersuchen. Studien zeigten, dass bei homosexuellen Männern, die sich vor ihrer Aids-Erkrankung nicht geoutet hatten, die Krankheit nicht nur wesentlich schneller ausbrach, sondern auch die Überlebenschance um 20 Prozent sank.

Religiöse Riten wie die Beichte, genauso wie die moderne Psychotherapie bieten eine Möglichkeit, Traumata zu verarbeiten, der Selbsttäuschung vorzubeugen und somit letztendlich unser Immunsystem zu schützen.

Widersprüche im Einklang

Ein typisches Kennzeichen der Selbsttäuschung ist die Einseitigkeit. Wir verzerren eintreffende Informationen allzu oft in eine für uns günstige Richtung. Auch Erinnerungen werden auf diese Art und Weise verfälscht. Selbst offensichtlich negative Entscheidungen, die bereits getroffen wurden und sich somit nicht mehr rückgängig machen lassen, können durch Selbsttäuschung rationalisiert werden.

Sogenannte kognitive Dissonanzen, also kleine oder größere innere Widersprüche, können durch Selbsttäuschung in Einklang gebracht werden. Ein allseits bekanntes Beispiel dafür ist das Rauchen. Wir wissen, dass es uns schadet, aber anstatt darauf zu verzichten, finden wir selbstrechtfertigende Argumente, warum es uns dennoch gut tut.

Selbsttäuschung schwächt das Immunsystem

Selbsttäuschung mag durchaus ihren Nutzen haben. Unterm Strich jedoch, so Robert Trivers, wirkt sie sich aber negativ aus. Ein geschwächtes Immunsystem ist nur eine von vielen möglichen Folgen. Im schlimmsten Fall riskieren wir Leben. Flugzeugkatastrophen, Korruption und Kriege: sie alle lassen sich allzu oft auf zwei Dinge zurückführen, die Robert Trivers als die Triebkräfte der Selbsttäuschung bezeichnet: auf ein erhöhtes Selbstvertrauen und auf mangelndes Gefahrenbewusstsein.

Es lohnt sich also, die Mechanismen von Betrug und Selbstbetrug, Täuschung und Selbsttäuschung zu hinterfragen. Dazu braucht man aber, so der Autor, ein geschultes Bewusstsein:

Robert Trivers hält die Balance zwischen wissenschaftlichen Fakten und teils provokanten Thesen und geht mit seinen Ausführungen weit über das Thema Betrug und Selbstbetrug hinaus. Evolutionstheoretische, biologische, religions- und geschichtswissenschaftliche Fragen werden erörtert - für den Laien mitunter etwas zu komplex. Der Leser ist aber sicherlich angeregt, Betrug und Selbstbetrug im eigenen Leben näher zu betrachten und sich somit bewusst für die Wahrheit zu entscheiden.

Service

Robert Trivers, "Betrug und Selbstbetrug. Wie wir uns selbst und andere erfolgreich belügen", aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel, Ullstein Verlag

Ullstein