Stories von Carl Weissner

Eine andere Liga

Man kennt das von Popstars. Kaum ist ein Künstler gestorben, kommen Platten auf den Markt, auf denen Songs zu finden sind, die es zu Lebzeiten des Musikers nicht auf CD geschafft haben. Outtakes, Demoversionen, halbfertige Lieder.

Auf den ersten Blick scheint das neue Buch von Carl Weissner genau dieser Logik zu folgen. 16 Monate, nachdem der Übersetzer und Autor gestorben ist, wird nun "Eine andere Liga" veröffentlicht. Darin findet sich ein Roman von Weissner und Texte und Essays.

Auf den zweiten Blick aber ist doch alles ganz anders. Denn Weissner hat ohnehin nie an einem kohärenten Werk gearbeitet. Bei ihm war alles Work-in-progress, jede Zeile bloß wieder Material für anderes Material. Und deshalb unterscheidet sich das neue Buch von Carl Weissner nicht von den alten Büchern Carl Weissners.

Als Übersetzer Legende

Weissners erster Roman "The Braille Film" war in der Cut-Up-Methode von William S. Burroughs verfasst und erschien 1970 bei einem kleinen San Franciscoer Verlag. Es sollte bis zum Jahre 2010 dauern, bis Weissner mit 70 Jahren sein deutschsprachiges Debüt gab. "Manhattan Muffdiver" hieß die E-Mail-Sammlung, in der er seine Erlebnisse von seinem New York Aufenthalt im Jahre 1968 niederschrieb.

Weissner war vor allem als Übersetzer eine Legende. Er übersetze die Songs von Bob Dylan und Frank Zappa und machte die Helden des amerikanischen literarischen Untergrunds wie Charles Bukowski und William S. Burroughs in Deutschland bekannt.

Weissner hatte in den 1950er Jahren bereits ein Literaturmagazin in der BRD gegründet. Dort publizierte er jene Autoren, die ihn Zeit seines Lebens begleiten sollten, und die damals in Deutschland niemand veröffentlichen wollte. So lernte Weissner Charles Bukowski kennen, den er nicht nur übersetzte, sondern der auch ein enger Freund von Weissner wurde.

Paris im Chaos

"Tod in Paris" ist ein Text von Carl Weissner, der der Genrebezeichnung Roman wohl am nächsten kommt. Der Held ist ein Schriftsteller und/oder Massenmörder - das weiß man nicht so genau -, der sich am liebsten mit Roboterfrauen vergnügt. Er will ein Drehbuch über einen Sniper in Paris verfassen. Also begibt er sich in die französische Hauptstadt und kommt in eine Metropole, die im Chaos versinkt.

Weissner nahm sich die Hitzewelle von 2003 zum Vorbild, die in Frankreich Tausenden Menschen das Leben kostete. Aber damit nicht genug: Paris wird auch von einer Terrorwelle heimgesucht. Es ist ein apokalyptisches Bild, das Weissner zeichnet - sehr ähnlich den dystopischen Endzeitphantasien von J. G. Ballard und William S. Burroughs. Vor allem Burroughs war für Weissner stets ein Vorbild gewesen. Auch ihn lernte Weissner über seine Literaturzeitung kennen.

Im Unterschied zu Bukowski und Burroughs, die sich beide exzessiv ihren Drogen hingaben, führte Weissner ein stetes Leben. Er übersetze deren Bücher und konnte davon recht ordentlich leben. Seine amerikanischen Freunde hingegen frönten der Selbstzerstörung. Bukowski ließ sich immer wieder betrunken in Bars zusammenschlagen und Burroughs hatte sein Heroin.

Als Blog begonnen

"Tod in Paris" fing als Internettext an. 2008 begann Weissner einen Blog und bat seine Freunde, sie mögen doch zum Roman beitragen. Aber bald schon war Weissner der einzige, der den Text verfasste. Zeit seines Lebens habe er immer gezögert, diesen Roman zu veröffentlichen, schreibt Keith Seward im Nachwort. Weil er - in guter alter Cut-Up-Manier - alles verwendete, was ihm irgendwie brauchbar erschien und sich deshalb im Text sehr oft Sätze und Satzfetzen anderer Autoren finden. Ein zweiter Grund könnte aber auch gewesen sein, dass Weissner bewusst war, wie sehr dieser Roman den Texten von Ballard und Burroughs ähnelt.

Ist das vorliegende Buch nun ein gutes Buch? Diese Frage stellt sich bei Weissner nicht, denn so wie Burroughs war Weissner ein Gesamtkunstwerk. Er war umfassend gebildet und mit ihm zu reden war ein einziges Vergnügen - was vor allem an seiner feinen Selbstironie lag.

Service

Carl Weissner, "Eine andere Liga: Tod in Paris. Roman & Stories, bei denen man auf die Knie geht und vor Freude in die Fußmatte beißt", aus dem Englischen von Walter Hartmann, Milena Verlag