"Menschenwürde" als Essay-Thema
"Falter"-Chefredakteur Armin Thurnher hat einen umfassenden Essayband geschrieben über Österreich als "Republik ohne Würde" und der vielfach ausgezeichnete "Weltensammler"-Autor Ilija Trojanow macht sich - ebenfalls in einem Essay - Gedanken über die Würde des Menschen im Spätkapitalismus.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 8.8.2013
Verhungernde contra Milliardenvermögen
"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." So steht's in der Deklaration der Menschenrechte von 1948. Dass der Begriff Würde viele Facetten hat, das weiß man spätestens, nachdem man die beiden Bücher von Armin Thurnher und Ilija Trojanow gelesen hat. Von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus beleuchten die beiden das große Thema - der eine steht als Langzeitbeobachter, Phänomenologe und Analytiker mitten im österreichischen Getümmel, der andere beleuchtet globale Phänomene. Der gemeinsame Befund: Entwürdigung ist ein Massenphänomen und: Wir leben in einer Oligarchie.
"Unsere Medien benutzen das immer nur, um Russland zu beschreiben, aber im alltäglichen Gespräch ist diese Grundweisheit, dass enormes, konzentriertes Vermögen zu enormer Macht auch in demokratischen Systemen führt, viel klarer, als man durch eine Lektüre der Medien annehmen würde", sagt Thurnher. "Und ein anderes Beispiel, was zentral zum Thema Würde gehört, ist Verarmung."
Ein Thema, das längst auch in Österreich angekommen ist - in der "Republik ohne Würde", wie sie Armin Thurnher nennt und übersetzt mit "Republik ohne Stil, ohne Rechtschaffenheit, ohne Anstand, ohne Willen, ohne Ziel". Thurnher liefert da eine Bestandsaufnahme des moralischen und politischen Zustands des Landes - ein paar Stichworte: Steuerbetrug, Korruption und die diversen Affären von Buwog, Telekom und Hypo inklusive - die Hinterlassenschaft der Ära Schüssel-Haider.
"Natürlich leidet man an diesen Dingen wie ein Hund und das sind für mich Versuche einer Selbstreinigung, indem ich diese üblen Dinge zusammenfasse und versuche zu erklären als Phänomene einer Entstaatlichung und Entdemokratisierung, dieses neoliberalen Schwenks auf österreichische Art - mit einem Gamsbart aufgesteckt - präsentiert wird", so Thurnher.
Die üblen Dinge - dazu gehört auch die Resignation vor den Kräften des Marktes: "Damit lullt man uns die ganze Zeit ein, dass diese Märkte mythische Wesen sind, das stört mich auch beim Nachrichten-Hören: die Börsenkurse als Stimmungsberichte, als wären das sonderbare Fabelwesen aus dem Zoo, die einmal schmollen, dann wieder gut gelaunt sind - nein: Das sind Leute, die viel Geld verdienen, einzelne, die andere mehr oder weniger schlecht behandeln, und natürlich muss man die Zahl der täglich Verhungernden den Milliardenvermögen gegenüberstellen."
"Zynischer Zustand"
18 Millionen Menschen, die jährlich an Unterernährung sterben, die Ausbeutung der Ärmsten, die Erbarmungslosigkeit neoliberaler Arbeitsmarktpolitik, politische Apathie - darauf richtet Ilija Trojanow die Scheinwerfer in seinem Essay "Der überflüssige Mensch".
"Das Zynische am jetzigen Zustand ist, dass das fast ohne große öffentliche Diskussion und ohne Problembewusstsein passiert. In Ländern wie Indien China, Brasilien wird nur über diese aufstrebende Mittelklasse geredet, die Tatsache, dass die kleinen Bauern überhaupt keinen Platz in dieser Wachstumsgesellschaft haben, das gibt jeder zu. Die sind tatsächlich schon abgeschrieben, die sind in der globalisierten Welt Zahlen", so Trojanow.
Was da wie dort fehlt, ist breiter, organisierter Widerstand, sagen Thurnher und Trojanow unisono - eine ernsthafte Diskussion über die Würde könnte dafür eine Basis bilden. "Wenn man sich nicht an einem Ideal oder an einem geknechteten Ideal festmacht gegen dessen Schändung man protestiert - was sollte man denn sonst tun?"
Armin Thurnhers Essayband "Republik ohne Würde" ist im Zsolnay-Verlag erschienen, "Der überflüssige Mensch" von Ilija Trojanow bei Residenz.