Misshandlung: Kindeswohl vor Kriminaltaktik

Die Staatsanwälte in Österreich sollen künftig besser mit den Jugendämtern zusammenarbeiten. Das ist im neuen Kinderhilfegesetz und durch einen geplanten Erlass des Justizministeriums vorgesehen. Bei Verdacht dürfen Staatsanwälte nicht mehr aus Ermittlungsgründen zuwarten, sondern müssen das Jugendamt einschalten.

Morgenjournal, 21.8.2013

"Unverzüglich zu verständigen"

Der Opferschutz soll künftig im Vordergrund stehen - gegenüber kriminaltaktischen Überlegungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Jugendämter sollen nach Anzeigen früher informiert werden, damit Kinder möglichst rasch vor Gewalt oder sexuellen Übergriffen in der Familie geschützt werden können - selbst wenn das Täter vorwarnen und Ermittlungen erschweren sollte. Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek über seinen geplanten Erlass: "Liegt ein begründeter Verdacht vor, dann ist unverzüglich zu verständigen." Bisher wäre es sogar zulässig gewesen, die Verständigung erst bei Erhebung der Anklage vorzunehmen - was ein längeres Leiden eines Kindes bedeuten könnte.

Frage der Definition

Aber die Frage, die sich auch künftig stellt, ist: Ab wann liegt wirklich ein begründeter Verdacht vor? Der Grün-Abgeordnete Albert Steinhauser hat in einer parlamentarischen Anfrage einen tragischen Fall aufgegriffen. Eine junge Niederösterreicherin hat 2011 Anzeige gegen ihren Onkel erstattet, weil er sie im Alter von vier Jahren vergewaltigt hatte. Sie hatte gehört, dass er nun Vater geworden war und wollte einen Missbrauch an seiner Tochter verhindern. Der 46-Jährige hat dann gegenüber Ermittlern zwar den Missbrauch vor 20 Jahren zugegeben - eine aktuellen Missbrauch aber bestritten. Und auch als sich ein weiteres Opfer gemeldet hat, hat der zuständige Staatsanwalt in St. Pölten keinen Grund gesehen für eine Meldung ans Jugendamt. Erst als - ein Jahr nach der ersten Anzeige - bei einer Hausdurchsuchung Fotos gefunden wurden, die den Mann bei Vergewaltigung bzw. Missbrauch der zweieinhalbjährigen Tochter zeigten, ging er in U-Haft.

Klarstellung gefordert

Sektionschef Pilnacek, zeigt Verständnis für die damaligen Entscheidungen: Man könne nicht davon ausgehen, dass etwas wieder passiert, weil etwas vor 20 Jahren passiert sei. Es sei ein begründeter Anlass für Ermittlungen, aber wahrscheinlich reiche es nicht, das Jugendamt zu verständigen. Eine Abnahme des Kindes aus dem Familienverband wäre schließlich auch ein schwerer Eingriff.

Grünen-Justizsprecher Steinhauser hingegen fordert die Justizministerin auf sicherzustellen, dass bei evidenten Missbrauchsfällen und wenn der Täter ein Kind hat, das Jugendamt zu verständigen sei. Doch offensichtlich ist das nicht vorgesehen. Trotz des geplanten Erlasses wird wohl weiterhin viel von Einschätzung und Gespür der zuständigen Staatsanwälte abhängen.

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