Zum 75er - ein Gespräch mit Hermann Nitsch

Kunstwerke kann man eher nur dann beurteilen, wenn man sie auch selbst gesehen hat und sie nicht nur vom Hörensagen kennt. Das gilt auch und gerade für das Orgien Mysterien Theater von Hermann Nitsch. Die erbitterten Nitsch-Gegner, die seine Arbeit skandalisierten, kannten sie in aller Regel nur aus den Medien. Am morgigen Tag wird Hermann Nitsch 75, und von den Entrüstungsstürmen ist kaum ein Säuseln übrig.

Hermann Nitsch

(c) Hochmuth, APA

Kulturjournal, 28.08.2013

1938 in Wien geboren, besuchte Nitsch die Grafische Lehr- und Versuchsanstalt und beschäftigte sich bereits in ersten malerischen Arbeiten mit religiösen Themen. Seit 1957 verfolgt der Künstler konsequent die seine gesamte Arbeit bestimmende Idee eines als Gesamtkunstwerk konzipierten Daseinsfestes - das sogenannte Orgien Mysterien Theater. Seine Arbeiten ab Beginn der 1960er Jahre markieren wesentliche Stationen des Wiener Aktionismus.

Auf Aktionen mit Lammkadavern, die mit Blut und Wasser beschüttet wurden, folgten Körperschüttungsaktionen, für die sich zunächst Freunde wie der Aktionist Rudolf Schwarzkogler oder der Fotograf Heinz Cibulka zur Verfügung stellten.

Den internationalen Durchbruch brachte 1966 eine Einladung nach London zum "Destruction in Art Symposion". Nitschs Aktion vor internationalem Publikum wurde von der Polizei abgebrochen - es folgten Einladungen in die ganze Welt. Seit den 1980er Jahren sind seine Arbeiten in den renommiertesten internationalen Museen zu finden.

Das Orgien Mysterien Theater

Zum Zentrum seines Schaffens erkor Nitsch 1971 das Barockschloss Prinzendorf im niederösterreichischen Weinviertel, dessen Erwerb ihm seine zweite, später nach einem Unfall verstorbene Frau Beate ermöglichte. Es wurde zum Austragungsort zahlreicher Aktionen des Orgien Mysterien Theaters, nicht zuletzt des heftig umstrittenen 6-Tage-Spiels 1998, das Nitsch als bisherigen Höhepunkt seines Schaffens betrachtete.

Auch als Komponist ist Nitsch hervorgetreten. So erfolgte 2009 im MZM Mistelbach die Uraufführung seiner Ägyptischen Symphonie, 2012 erklang in Linz die "sinfonie für 100 pianistinnen an 33 klavieren und 1 synthesizer".

Polarisierender Aktionismus

Zuletzt hatte Nitsch, dessen Orgien Mysterien-Theater seit Jahrzehnten heftig umstritten ist, in Leipzig mit seiner mittlerweile 138. Aktion die Gemüter erhitzt. Sein als Gesamtkunstwerk intendierter Aktionismus polarisiert nach wie vor, auch wenn heimische und internationale Würdigungen längst eingesetzt haben. Nitsch-Arbeiten finden sich in praktisch allen großen internationalen Museen und Sammlungen.

Im Nitsch-Museum im Museumszentrum Mistelbach läuft bis Ende Juli 2014 die Retrospektive "Sinne und Sein". Bei der aktuellen Biennale in Venedig ist Nitsch in zwei Gruppenausstellungen vertreten, ebenso bei "wagner sehen" im Rahmen von Paulus Mankers "Wagnerdämmerung" im Wiener Post- und Telegraphenamt. Ende November startet im museo nitsch in Neapel die Schau "Nitsch & Attersee". Und für 2014, spätestens 2015 schwebt dem Jubilar ein neuerliches Sechs-Tage-Spiel vor.