Die Vermessung des Selbst

Mein digitales Ich

Wie viele Kilometer, wie viele Kalorien, wie viel Kaffee, wie viel Körpergewicht, wie viel Körperfett? Die Höhe des Blutdrucks, des Stresslevels und die Anzahl der Arbeitsstunden pro Tag - das alles sind Gesundheits- und Verhaltensdaten, die von der Selbstvermessungscommunity eifrig gemessen, getrackt, ausgewertet und geteilt werden. Auch Christian Grasse hat für sein Buch einen Blick in den digitalen Spiegel geworfen.

Getestet hat er eine WLAN-Waage, die nur aufgrund von Körpergewicht, Körperfettanteil und Bodymaßindex ein Fitnessprogramm im dazugehörigen Online-Portal entwirft. Dazu kamen eine App, die die tägliche Kalorienmenge misst und eine Anwendung, die die zurückgelegten Schritte zählt. Die Anfangseuphorie ist nach drei Monaten verschwunden, schreibt Christian Grasse, geblieben ist der digitale Schrittzähler.

Unmittelbares Feedback

Christian Grasse resümiert: das wichtigste Element des digitalen Selbstvermessens ist neben der Messung an sich das unmittelbare Feedback. Denn viele Produkte und Apps wecken nicht unbedingt den inneren Schweinehund, sondern appellieren an den Spieltrieb:

Die Autoren sprechen auch die Gefahren der Selbstvermessung im medizinischen Bereich an: Führt Eigenbeobachtung zu mehr Körperbewusstsein? Führen Messwerte dazu, sich früher einzugestehen, dass man medizinische Hilfe braucht? Oder führen Daten über die eigene Gesundheit zu unnötiger Unsicherheit? Führt das Vergleichen der Werte innerhalb der Community dazu, die eigenen Werte, die bis dato unauffällig waren, anzuzweifeln? Die Autoren haben die Vision von einem Arzt mit genügend Zeit und Geduld für jeden Patienten, der dank Gespräch und selbstgemessener Daten bestens über den Körper des Patienten Bescheid weiß. Ein Arzt, der dann ein Gesundheitsprogramm entwickelt, das der Patient dank Selbstvermessungs-Anwendungen besser befolgen kann.

Christian Grasse und Ariane Greiner haben für ihr Buch auch mit einem der Gründer der Quantified-Self Bewegung in Europa gesprochen: Der Designer James Burke glaubt, dass ein digital quantifiziertes und technisch vermitteltes Leben unseren Alltag verändern könnte.

Problemfall Datenschutz

Der Quantified-Self-Anhänger Burke erzählt von einer Frau, die auf elf verschiedene Arten ihr Verhalten gemessen hat. Anstatt mithilfe von Zahlen und Daten ihren Lebensstil zu optimieren, wurde sie depressiv, denn sie war nicht in der Lage, ihr Verhalten zu ändern. Die Zahlen wurden für sie zum Fluch, erzählt James Burke - auch das sind Aspekte, die von Messgeräte-Herstellern und Onlinediensten beachtet werden müssen. Und auch beim gerade sehr aktuellen Themenkomplex Privatsphäre, Datensammeln und Datenmissbrauch gibt es in der Selbstvermessungswelt noch einige offene Fragen.

Daran, dass Daten, die unser Verhalten und unseren Körper digital widerspiegeln, eine immer größere Rolle spielen werden, führt kein Weg vorbei, sind die Autoren überzeugt. „Mein digitales Ich“ ist eine gute Einstiegslektüre für all jene, die ihrem Körper den digitalen Spiegel vorhalten möchten.

Service

Christian Grasse, Ariane Greiner, "Mein Digitales Ich. Wie die Vermessung des selbst unser Leben verändert und was wir darüber wissen müssen", Metrolit Verlag