Buchmarkt Brasilien

Der Buchmarkt Brasiliens befindet sich im weltweiten Vergleich zwar unter den zehn größten, der Umsatz, den die Branche macht, ist aber - zieht man die Bevölkerungszahl des fünftgrößten Landes der Erde in Betracht – nicht allzu hoch.

Dies betont der Brasilien-Kenner Kersten Knipp, der rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse seine brasilianische Kulturgeschichte mit dem Titel "Das ewige Versprechen" im Suhrkamp Verlag vorlegt.

"2011 wurden insgesamt in Brasilien 470 Millionen Bücher verkauft", sagt Knipp. "Das ist nicht wenig, das macht Brasilien zum neuntgrößten Buchmarkt der Welt."

Kaum Mußestunden

An den brasilianischen Erfolgszahlen mitbeteiligt ist auch die indirekte staatliche Subvention, da ein großer Teil der Bücher vom Staat aufgekauft und in Schulen verteilt wird, denn das Land kämpft mit dem Grundproblem einer schwach entwickelten Lesekultur, sagt ein weiterer Kenner der brasilianischen Buch- und Literaturlandschaft, Marcel Vejmelka von der Universität Mainz:

"Wenn man gerade den Begriff der 'Lesekultur' anführen möchte, dann muss man feststellen, dass es diese in einem breiteren Sinne nicht gibt", denn es gebe nur eine "Grundalphabetisierung" - auch wenn sie in den letzten Jahren besser geworden sei, "aber es ist eben nicht mehr als eine Grundalphabetisierung. Was fehlt, ist die Vermittlung von einer solchen Lesekultur, von Lesegewohnheiten".

Wenn man in die breite Masse dieses Riesenlandes schaue, so Vejmelka weiter, "dann muss man auch sehen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung gar nicht die Möglichkeit hat, diese Lesekultur für sich zu entwickeln. Man fängt sehr früh an zu arbeiten (...) und es fehlt auch einfach an Möglichkeiten, dann in Mußestunden zu lesen."

Bücher sind Luxus

Die flächendeckende Literaturversorgung der Bevölkerung stellt ein weiteres Problem dar, das von einem starken Stadt-Land-Gefälle geprägt ist. Während in den urbanen Regionen mehr als die Hälfte der brasilianischen Buchhandlungen angesiedelt sind, so sind die ländlichen Gegenden mit Literatur unterversorgt. Hinzu kommt, dass der Erwerb neuer Bücher absoluter Luxus ist, denn diese sind zwar von der Steuer befreit, dennoch sind sie sehr teuer und somit einem elitären Publikum vorbehalten.

"Es gibt sicherlich auch einen Wandel in den letzten zehn Jahren, dass auch am Rande der Gesellschaft Literatur neue Formen annimmt, neue Leserschaften gewinnt", meint Marcel Vejmelka. Vor allem sogenannte Marginalliteratur werde "in den Stadtperipherien, in Favelas, in den Armenvierteln zelebriert. Das ist mehr in der Tradition zu sehen von Poetry Slams und auch in Verbindung mit der Hip-Hop-Szene zum Beispiel."

Bei sogenannter traditioneller Literatur, steigen die Preise in letzter Zeit sogar. Was es auch kaum gebe, seien Taschenbücher: "Das ist zwar im Kommen und wird auch merklich mehr, aber es ist immerhin noch ein verschwindender Teil."

Zahlreiche Antiquariate

Allerdings kann man sich in den Städten günstige Literatur in den zahlreich vorhandenen Antiquariaten besorgen. Diese spielen eine besondere Rolle in der brasilianischen Buchlandschaft, da viele Titel aufgrund geringer Auflagezahlen und der Kurzlebigkeit der Verlage schnell vergriffen sind. Die wenigen vorhandenen Bibliotheken können die Versorgungslücken jedenfalls kaum schließen, betont der Sachbuchautor Kersten Knipp:

"Es gibt um die 5.000 öffentliche Bibliotheken im ganzen Land. Das hört sich erstmal nicht schlecht an, aber man muss bedenken, dass es rund 200 Millionen Brasilianer gibt und rechnet man das um, kommt man auf 39.000 Benutzer pro Bibliothek. Entsprechend kann man sich dann vorstellen, wie diese Bibliotheken frequentiert sind einerseits, und wie gut beziehungsweise schlecht sie funktionieren können. Wer so viele Bürger und Leser versorgen muss als einzelne Bibliothek, der hat es natürlich schwer, mit den Titeln nachzukommen: Es ist ständig was ausgeliehen oder es fehlt etwas, man hat Wünsche an die Bibliothek, die so schnell nicht erfüllt werden können."

Hinzu komme, so Knipp, "dass diese Bibliotheken nicht immer sehr angenehm sind, das heißt sie sind in die Jahre gekommen, es ist warm dort, sie haben nicht alle eine Klimaanlage. In Brasilien, bei diesen Temperaturen, ist das wirklich auch ein Problem."

Zuwächse beim Internethandel

Der Bibliotheksmangel und fehlende Buchläden in den ländlichen Gebieten könnten jedoch für die Zukunft des Internethandels aussichtsreich sein. Um diesen uneingeschränkt nutzen zu können, fehlt aber ein zentrales Vertriebselement - wie etwa der Großhandel zwischen Verlagen und Buchhandlungen.

"Die Buchhandlungen - so kann man auch den Statistiken entnehmen - sind weiterhin die wichtigste Quelle für den Erwerb von Büchern", meint Marcel Vejmelka. "Große Buchhandelsketten haben natürlich mittlerweile auch mit dem Versand begonnen." Ländliche Gebiete seien jedoch kaum an das Internet angeschlossen. "Was dann noch dazukommt ist, dass die großen Buchhandelsketten ihre eigene Titelauswahl nur anbieten und man nicht flächendeckend virtuell an alles rankommen kann, was publiziert ist."

Eine Chance für das E-Book

Die literarische Digitalisierung steckt in Brasilien noch in den Kinderschuhen. E-Books sind in Brasilien so neu, dass sie gerade mal ein Prozent des Umsatzes ausmachen. Als verkaufshemmend könnten sich die teuren Lesegeräte herausstellen. Brasilien-Kenner Kersten Knipp blickt jedenfalls zuversichtlich in die digitale Zukunft und sieht darin auch mögliche Chancen für das bis heute ungelöste Problem der Literaturversorgung:

"Amazon ist jetzt auf dem brasilianischen Markt, das ist ein sehr wichtiges Zeichen, man kann, wenn man nicht gerade als Buchhändler arbeitet, sagen, ein optimistisch stimmendes Zeichen, weil es signalisiert, dass dieser Markt noch ausbaufähig ist, und auch das E-Book ist im Kommen. Amazon Brasilien wirbt sehr stark für das E-Book. Da können E-Books in der Tat sehr viel entwickeln, nicht nur kommerziell, sondern auch mit den Schulen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch für Schulen ein wichtiger Punkt wird, mit solchen Apparaten zu arbeiten, vorausgesetzt man kann sich die E-Books dann leisten."

Bei Bestsellerlisten im Trend

Wirft man einen Blick auf die aktuellen Bestsellerlisten des Landes, so lässt sich feststellen, dass Brasilien zumindest im Hinblick auf die Lesevorlieben längst Teil der literarischen Globalisierung ist. Internationale Strömungen, vor allem angloamerikanische Bestseller und andere weltweite Trends, sind auch hier präsent. In den Top 20 der Bestellerlisten im Bereich Belletristik befindet sich zurzeit kein einziger brasilianischer Titel.

Als besonders erfolgreich erweist sich die Kinder- und Jugendliteratur. "Dan Brown ist ganz oben mit 'Inferno'", erzählt Knipp. "John Green ist drauf, das ist ein Jugendschriftsteller, der gleich mit mehreren Titel unter den ersten 10 vertreten ist. Man findet Khaled Hosseini drauf, zwei Jugendschriftsteller. (...) Es ist auch darauf Antoine de Saint-Exupérys 'Der kleine Prinz'. Das finde ich ganz interessant, dass das drauf ist, weil es eigentlich das zeigt, was sonst auch mit Blick auf die Sachbücherlisten in Brasilien sehr en vogue ist: Das sind Titel, die so ein bisschen ablenken vom Leben, vom harten Leben."

Sachbücher mit Selbsthilfe-Themen

Menschenfreundliche Literatur, wie die eines Paulo Coelho, dessen Bücher in seiner Heimat rund 100 Millionen Mal verkauft wurden, ermutigt nach wie vor die Brasilianer. Das zeigen auch die Top-Sachbuchtitel, die zu einem großen Teil von Selbsthilfe-Themen bestimmt, im Gegensatz zu den Belletristik-Bestsellern aber überwiegend von heimischen Autoren verfasst sind.

Dass die brasilianische Literatur auch eine ganze Reihe interessanter heimischer Autoren besitzt, hebt Kersten Knipp mit Blick auf die nationale Bestenliste hervor:

"Auf den brasilianischen (Bestsellerlisten) sind da in der Tat (...) die auch bei uns teilweise Bekannten: Bernardo Carvalho ist drauf mit seinem Roman, dann Chico Buarque, der vor allem als Sänger bekannt ist, aber eben auch seit einer ganzen Reihe von Jahren Romane schreibt und der jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. 'Vergossene Milch' heißt dieses Buch und es beschäftigt sich mit den letzten hundert Jahren in Brasilien, erzählt aus der Perspektive eines alten Menschen, der noch mal einen Blick zurückwirft."

Berufsbild "Schriftsteller"

Brasiliens reiche und vielfältige Verlagslandschaft, die Großverlage ebenso wie kleine Nischenverlage umfasst, kann auf eine beachtliche Zahl an jungen aufstrebenden Autoren zurückgreifen. Wie auch in Österreich leben junge Schriftsteller größtenteils von staatlichen Förderungen, von Stipendien und Literaturpreisen. Marcel Vejmelka von der Universität Mainz hebt aber auch die heutige Diversifizierung des Berufsbildes "Schriftsteller" hervor:

"Man lebt eben nicht nur davon, dass man Romane schreibt, sondern eben über Kolumnen, die man möglichst in den landesweiten großen Tageszeitungen am Wochenende in der Kulturbeilage hat. (...) Die meisten aktuellen und jungen Autoren unterhalten auch Blogs im Internet, probieren neue Formen aus und dadurch ergeben sich natürlich auch neue Quellen, das Schreiben zu einem Brotberuf machen zu können."

Neben Erinnerungsliteratur, die mit bewusst einfachen Mitteln der nationalen Identität nachgeht, oder Literatur, die die Zeit der Militärdiktatur von den 1960er bis in die 1980er Jahre aufarbeitet, sind es vor allem existenzielle, universale Themen, die die jungen brasilianischen Autoren heute beschäftigen:

Es gebe "sicher eine Tendenz zur 'Universalisierung' der Thematik und der Schreibweise der aktuellen brasilianischen Literatur", meint Marcel Vejmelka. "Also die Themen sind jetzt auch nicht unbedingt das, was man außerhalb Brasiliens als 'brasilianisch' bezeichnen würde oder erwarten würde, sondern eher auf einem universellen Level angesiedelt, wo es eben um existenzielle Fragen geht oder um Fragen der Globalisierung in dieser Hypermodernität und dergleichen mehr."

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