Die "Café Sonntag"-Glosse von Georg Biron

Der gelernte Österreicher

Der Schriftsteller Alfred Goubran, der soeben sein neues Buch mit dem Titel "Der gelernte Österreicher" veröffentlicht hat, ist ein echter Österreicher durch und durch. Und ein echter Österreicher, das ist so etwas ähnliches wie ein Buddhist.

Die Buddhisten glauben ja, dass das ganze Leben ein Leiden ist. Und Alfred Goubran leidet offenbar darunter, dass er ein Österreicher ist. Genau das verbindet mich mit ihm, denn auch ich verstehe mich als Austro-Buddhist und ich habe die erste und wichtigste These des Austro-Buddhismus gelernt, die da lautet: "Es ist alles ein bissel wurscht!"

Wer sich einmal auf Österreich eingelassen hat, der sucht diese Begegnung immer wieder. Es ist eine ewige Liebe. Eine Sucht. Eine Leidenschaft. Ich wollte Österreich schon oft verlassen, doch jeder Österreicher nimmt beim Auswandern das Österreichische in die Ferne mit.

Ich weiß, wovon ich spreche. Ich lebe in der Hauptstadt von einem ehemaligen Weltreich, und niemand kann so schön "Grüß Gott!" sagen wie wir Wiener. Wir sind die Indianer Europas und wandern durchs Reservat der vergebenen Chancen. Wir haben Heimweh nach der Zukunft und wissen: Es gibt auf der ganzen Welt kein einziges Projekt, das nicht schon mindestens einmal in Österreich gescheitert wäre.

Alfred Goubran weiß, wovon er schreibt: Die meisten Touristen lieben die Klischees, die sie in Österreich erwarten: Barock Around The Clock.

"Ich muss den Ästheten eine niederschmetternde Mitteilung machen: Alt-Wien war einmal neu!" notierte Karl Kraus und merkte überdies an, dass die Behauptung "Wien bleibt Wien!" im Grunde eine gefährliche Drohung ist und dass man hier vor allem jene Form von "Malerei schätzt, die auf den Torten zu finden ist".

Bekanntmachungen dieser Art sind jedoch seit Jahrzehnten in den Wind gesprochen, und sie kommen in Scharen zu uns, die Touristen, Jahr für Jahr. Sie wollen das Schloss Schönbrunn sehen, wo der alte Kaiser und seine Sissi residierten; das Riesenrad, in dem Orson Welles als "Dritter Mann" brillierte; und natürlich die Kirchen und Museen und all die anderen alten Sehenswürdigkeiten, an denen kein gelernter Österreicher interessiert ist.

Das Österreich aber, das seit Jahren in Reiseprospekten und Taschenbüchern verkauft wird, ist in Wahrheit nicht vorhanden. Das sind alles nur Kulissen, die den Urlaubern – und mittlerweile auch manchen Einheimischen – etwas vormachen.

Tourismusmanager mit Millionen-Budgets und clevere Kunsthandwerker haben durch Marketing-Kampagnen und Interviews weltweit für ein Österreich-Bild gesorgt, dessen Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit bloß purer Zufall wäre. Aus Amerika kommen Gäste, die sich tatsächlich darüber wundern, dass in den Städten keine Almhütten stehen: "Where is Heidi?" Südamerikaner sind verdutzt, weil wir elektrischen Strom haben, und Asiaten wollen immer wieder den leibhaftigen Kaiser fotografieren.

Auf Besuch sind wir eigentlich gar nicht eingerichtet. Kein Tourist kann uns in seinem Österreich antreffen, weil wir ja gar nicht dort sind. Wir sind in einem Land, das hinter den Kulissen liegt, in einem Schattenreich des Tourismus, in einer Gegenwelt zum Klischee. Österreich ist woanders – nämlich in unserer Phantasie.

Alfred Goubrans Essay ist wunderbar geschrieben – verändern wird dieses Buch allerdings nix. Aber das ist eigentlich eh klar.