Interview mit Geiger Leonidas Kavakos

Im Wiener Musikverein werden bis Donnerstag sämtliche Symphonien und Solokonzerte von Johannes Brahms aufgeführt. Am Podium sitzt das Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung seines Chefdirigenten Riccardo Chailly. Als einer der Solisten gastiert der griechische Geiger Leonidas Kavakos in Wien. Er spricht über Musik, aber auch über die Finanz- und Kulturkrise in Europa und seinem Heimatland Griechenland.

Mit analytischem Verstand und großem Ausdruck zugleich geht Leonidas Kavakos an das berühmte Violinkonzert von Johannes Brahms heran: Mit Ruhe und Bedachtsamkeit spielt er die lyrischen wie auch die technisch anspruchsvollen Passagen, kein Akzent und keine Phrasierung wirkt hier zufällig gesetzt.

Das Brahms'sche Violinkonzert ist für Kavakos ein Monumentalwerk, in dem - unüblich für die Musik der Romantik - das Soloinstrument nicht dominiere, sondern sich ins Orchester einfüge.

Die Verbindung zur Vergangenheit

Während sich viele seiner Zeitgenossen schon stark von der Tradition der Wiener Klassik entfernt hatten, suchte Brahms bewusst die Verbindung zur Vergangenheit, insbesondere zu Ludwig van Beethoven. Eine Eigenschaft, die Leonidas Kavakos an dem Komponisten besonders schätzt.

"Heute versuchen wir ja ständig, irgendetwas Neues zu machen, und fischen dadurch die meiste Zeit im Trüben. Aber wenn Sie sich große Kunstwerke anschauen, dann merken Sie, dass es auch wichtig ist, sich auf die Wurzeln zu besinnen. Brahms zum Beispiel, der so viel Neues gebracht hat, war sich der Vergangenheit sehr bewusst."

Beethoven-Sonaten, mehr als schöne Musik

Schon als Jugendlicher heimste Leonidas Kavakos internationale Preise ein und legte eine Bilderbuchkarriere hin - als Violin-Solist, wie auch als Dirigent. Für kurze Zeit war er künstlerischer Leiter der Camerata Salzburg, trennte sich aber 2009 vom Orchester aber nach Differenzen mit der Geschäftsführung.

Ein kammermusikalisches Großprojekt realisierte Kavakos im vergangenen Jahr: Mit dem Pianisten Enrico Pace spielte er bei Decca alle Beethoven-Violinsonaten ein und wurde dafür vor kurzem mit dem deutschen Musikpreis Echo-Klassik bedacht. Derzeit führt er den Zyklus in zahlreichen Städten von New York bis Hongkong auf.

"Diese Beethoven-Sonaten sind für mich mehr als nur schöne Musik. Man hört, wie Beethoven mit sich selbst gerungen hat. Die Romantik war noch nicht angebrochen, aber er strebte schon sehr in diese Richtung und musste daher musikalische Grenzen brechen. Diese Musik hat für mich viele Extreme, wenn sie sich etwa zu einem immer größeren Forte aufbaut und dann plötzlich abreißt. Man kann daraus so viel lernen: Wenn Beethoven diese Musik schon so viel Mühe gekostet hat, wie muss es dann erst uns gehen?"

Mehr Solidarität in Europa

Leonidas Kavakos macht sich Gedanken: Nicht nur über Musik, sondern auch über die Gesellschaft, und welchen Beitrag die Kunst zum Wohl der Menschen beitragen kann. Die Finanzkrise, die seine Heimat Griechenland in den Abgrund zu reißen droht, hat für ihn eine entscheidende Ursache: die Geringschätzung der Kultur.

"In Griechenland spielen sich große Dramen ab: Familien haben nicht mehr genug Geld, um ihre Kinder zu ernähren. In so einer Situation kann man natürlich fragen: Was kümmert uns die Kultur? Aber das ist für mich ein populistischer Ansatz. Warum hat etwa jedes Land dieser Erde Schulden? Wieso leben alle über ihre Verhältnisse? Ich denke, wenn die Kultur mehr zählen würde, hätten wir das nie zugelassen. Wenn wir das menschliche Wohl mehr in den Mittelpunkt stellen würden und nicht die Anhäufung von Gütern, hätten wir viele Probleme nicht."

Nicht nur in Griechenland, auch in Deutschland oder Holland würden Theaterhäuser geschlossen und Orchester aufgelöst, betont Leonidas Kavakos und fordert mehr Solidarität in Europa. In Athen, wo der 46-Jährige abseits seiner Konzertreisen lebt, gibt er heute Meisterkurse, die vielleicht bald zu einem neuen Festival wachsen. Um in der brachliegenden Kulturlandschaft zumindest einen kleinen Beitrag zu leisten.

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