Gastarbeiterinnen Säuglinge weggenommen

Kinder von Gastarbeitern sollen in den 1970er Jahren nach der Geburt den Müttern weggenommen und in Kinderheimen aufgezogen worden sein. Eine, die schon damals die Zustände in Wiener Kinderheimen aufgedeckt hat, ist die frühere SPÖ-Politikerin Irmtraud Karlsson. In dem Buch "Verwaltete Kindheit - der österreichische Heimskandal" von Karlsson und Georg Hönigsberger werden Missstände aufgezeigt.

Morgenjournal, 13.11.2013

Unhaltbare Zustände

Ausgerechnet als in den 70er Jahren durch die Anti-Babypille die Geburtenzahlen zurückgingen, stieg die Zahl der Kinder in Säuglingsheimen. Der Grund waren die Kinder der damaligen Gastarbeiter, meinen Historiker und die Soziologin Irmtraud Karlsson: "Im Tourismus waren die Gastarbeiter viele Frauen, viele Ehepaare. Und denen hat man dann, ohne viel zu fragen, die Kinder bereits im Spital mehr oder minder weggenommen."

Als Skandal bezeichnet Karlsson den damaligen Umgang mit den Kleinkindern in den Heimen - konkret in Axams und Arzl in Tirol. Nur über diese zwei Heime gebe es eine Untersuchung aus 1979. Dort waren damals fast die Hälfte der 70 Kinder Gastarbeiterkinder. Die Autorin dieser Untersuchung, Edith Kaslatter, schildert gegenüber Ö1: "Es war viel zu wenig und ständig wechselndes Personal, die Kinder hatten keine Bezugsperson, die Betreuerinnen waren auch nicht ausgebildet. Das waren Krankenschwestern. Wenn ich hingekommen bin, waren oft fünf, sechs Betten im Hausgang, und alle Kinder hatten diese fürchterliche Mundfäule, eine sehr schmerzhafte Fiebererkrankung."

Mehrere Gründe

In ihrem Buch "Verwaltete Kindheit" zitiert Irmtraud Karlsson außerdem: "Es wurden häufig Verbote und Befehle erteilt, geschimpft oder gestraft. Das Kind muss eigene Aggressionen verdrängen und das führt zu Selbstaggressionen wie Nägelbeißen oder mit dem Kopf gegen harte Gegenstände schlagen."

Karlsson wünscht sich nun, dass intensiv erforscht wird, wie in Salzburg, der Steiermark oder Oberösterreich mit Kindern von Tourismus-Gastarbeitern umgegangen wurde und was aus ihnen geworden ist. Karlsson: "Ich war in einem Säuglingsheim in Gallneukirchen, von der Diakonie. Dort waren Säuglinge und Kleinkinder, und es war totenstill."

Dass Gastarbeiterkinder in Heimen waren, dürfte mehrere Gründe gehabt haben: Es gab praktisch keine Tagesmütter, keine Kinderkrippen und Anspruch auf Karenz erst nach 52 durchgehenden Arbeitsmonaten. Unfreiwillig freiwillig brachten manche Mütter die Kinder ins Heim oder das Jugendamt hat sie wegen unzureichender Wohnungen weggenommen. Karlsson: "Es steht in den Akten immer: Eltern wollen das Kind zu sich nehmen. Nur steht auch in den Akten: Keine Kochgelegenheit. Viel gescheiter wäre gewesen zuschauen, dass die Eltern mit dem Kind beisammen sein können. Also in Tirol, die Familie ist alles, aber sobald es Gastarbeiter waren..."

"Genau hinschauen!"

Neben der Erforschung dieses Themas wünschen sich Karlsson und Co-Buch-Autor Georg Hönigsberger, vom "Kurier", auch aktuelle Untersuchungen: "Ich glaube schon, dass vieles besser geworden ist. Aber gerade Behinderteneinrichtungen, Altersheime, Pflegeheime, da muss man genau hinschauen, weil es da einige Anstalten gibt, die nach wie vor mehr oder weniger für die dort Einsitzenden geschlossene Anstalten sind." Die Volksanwaltschaft, so der Wunsch, könnte über alle Heime und Wohngemeinschaften eine Studie verfassen, die dann breit, öffentlich diskutiert werden sollte.