Nobelpreisvergabe an Alice Munro

Heute wird in Stockholm der Literaturnobelpreis an Alice Munro verliehen, allerdings in deren Abwesenheit. Weil die Transatlantikreise für die 82-jährige Kanadierin zu anstrengend ist, wird ihre Tochter den Preis entgegennehmen.

In einer am Samstag präsentierten Videobotschaft hat sich die reine Kurzgeschichtenautorin aber ausführlich zu ihrem Leben und Schreiben geäußert. Und auch zu lesen gibt es Neues von Munro: Ende vergangener Woche ist ihr mittlerweile 14. Erzählband mit dem Titel „Liebes Leben“ auf Deutsch erschienen. Angekündigt wurde der Band als letztes Buch der Nobelpreisträgerin.

Morgenjournal, 10.12.2013

"Nichts kann mich so glücklich machen wie diese Auszeichnung", sagte Alice Munro in ihrer Videobotschaft an das Nobelpreiskomitee am vergangenen Samstag. Anders als beim Chinesen Mo Yan letztes Jahr, sorgten ihre Ausführungen für keinerlei Debatten. Sie halte sich für keine politische Autorin, meinte Munro dann auch, fügte aber mit einem Augenzwinkern hinzu, Feministin sei sie schon gewesen, bevor sie das Wort überhaupt gekannt hatte.

"Liebes Leben"

14 Geschichten finden sich in Munros neuem Erzählband "Liebes Leben". Meist beginnen sie mit der Schilderung des bieder-beschaulichen Kleinstadtlebens in der kanadischen Provinz, doch plötzlich gibt es einen Riss in der idyllischen Fassade. Eine alte Nachbarin erscheint da etwa als Psychopathin und ein Bräutigam bringt seine Braut statt zum Standesamt zum Bahnhof und setzt sie in den nächsten Zug. Doch so hintergründig und komplex die Geschichten Munros auch sind, zu einem Roman hat sich die Kanadierin nie durchringen können. Alice Munro: "Als ich jung war, dachte ich, ich würde so lange Erzählungen schreiben, bis ich erwachsen genug bin für einen Roman. Dazu ist es aber nie gekommen. Und ich hoffe jetzt, dass andere, die ihr Leben lang nur Erzählungen schreiben wollen, das jetzt auch tun dürfen."

Die vier letzten Geschichten im neuen Buch Munros sind keine üblichen Erzählungen. Sie seien die persönlichsten Dinge, die sie über ihr Leben zu sagen habe, schreibt die 82-Jährige. Darin erzählt sie von ihrer Kindheit und Jugend als Tochter eines Pelztierzüchters, von der Parkinsonerkrankung ihrer Mutter und dem Unfalltod ihres Hausmädchens. Diesem autobiografischen, letzten Abschnitt ihres Buches hat Alice Munro bezeichnenderweise den Namen "Finale" gegeben: "Ich habe mir an meinem letzten Geburtstag geschworen, mit dem Schreiben aufzuhören. Ich schreibe, seit ich zehn oder elf Jahre alt war und ich finde deshalb, dass es an der Zeit ist, dass ich mich zurücklehne und entspanne. Als Schriftsteller ist man nämlich immer bei der Arbeit. Jetzt versuche ich einmal, ohne Schreiben auszukommen, aber wer weiß."

Das Schreiben sei ihr nämlich nicht, wie man vielleicht glauben könnte, mit der Zeit immer leichter gefallen. Alice Munro: "Es ist, als ob meine bisherigen Bücher alle von jemand anderem geschrieben worden wären und so komme ich mir noch immer bei jeder neuen Geschichte vor wie eine Eiskunstläuferin, die eine schwierige Figur meistern muss. Für die ist es auch egal, ob sie die Figur gestern hinbekommen hat, es zählt nur, ob sie es heute wieder schafft."

Was "Liebes Leben" betrifft, ist die Kür wieder gelungen. Munro erfindet sich zwar nicht neu in ihrem vielleicht letzten Buch, es zeigt die Literaturnobelpreisträgerin aber in Hochform und ohne Anflüge von Altersmüdigkeit. Die Sätze sind knapp und präzise, die Dialoge mitten aus dem Leben gegriffen und das Unheil schleicht sich dunkel und geheimnisvoll an wie in einem Thriller.