"Pilgerjahre" von Haruki Murakami
Für die einen ist er der Popstar der Literatur, für die anderen Japans nächster Kandidat für den Literaturnobelpreis: der japanische Schriftsteller Haruki Murakami, der am Samstag 65 Jahre alt wird. Sein jüngster Roman verkaufte sich in Japan in weniger als einer Woche über eine Million Mal. Nun liegt „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ auf Deutsch vor.
8. April 2017, 21:58
"Wie werden wir in Zukunft leben? Japan ist heute an einem Scheideweg angelangt. Es ist eine wichtige Zeit und daher denke ich, ich sollte ein dieser Zeit entsprechendes Werk schreiben", hatte Haruki Murakami angedeutet, dass er sich literarisch mit der dreifachen Katastrophe vom 11. März 2011 auseinandersetzen wolle. Ähnlich, wie er es 1995 nach dem Erdbeben in Kobe und dem Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn getan hatte. Damals entstanden der Erzählband "nach dem Beben" und die Dokumentation: "Untergrundkrieg".
"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" ist nun aber ein Roman über die elementaren Themen Freundschaft, Liebe, Schmerz und Schuld. Im Mittelpunkt steht der 36-jährige, farblose, weil mittelmäßige Tsukuru Tazaki. Während seiner Schulzeit war er Teil einer unzertrennlichen Clique. Doch eines Tages wollen die Freunde nichts mehr mit ihm zu tun haben, ohne dass er den Grund erfährt. Der Schmerz darüber bringt ihn an den Rand des Selbstmords.
Erst 16 Jahre später motiviert ihn seine Freundin Sara, endlich den Ursachen nachzugehen. Ein harter, aber heilsamer Schritt für Herrn Tazaki. So könnte eine Botschaft dieses Romans denn auch sein: Wir dürfen die Vergangenheit nicht verdrängen, sondern müssen uns ihr stellen.
Kritik an AKW-Betreibern
Dass der 1949 geborene Bestsellerautor Haruki Murakami, dessen Bücher sich millionenfach verkaufen, und der meist in surreale Phantasiewelten entführt, durchaus auch handfeste politische Botschaften hat, stellte er zuletzt im Ö1 Interview unter Beweis, als er heftige Kritik an der Atompolitik seines Landes und der AKW-Betreiberfirma Tepco übte:
"Ich finde, dass die Spitzenmanager von Tepco, der Firmenboss, einige Leute, eigentlich ins Gefängnis gehörten! Aber die japanische Staatsanwaltschaft, die Staatsanwälte erheben keine Anklage. Das finde ich überaus merkwürdig. Und niemand übernimmt die Verantwortung. Das ist meiner Meinung nach ein großer Fehler!" Er kommentiere das aktuelle Geschehen nur ausnahmsweise, wenn die Situation wirklich dramatisch sei, betonte der vielfach preisgekrönte Schriftsteller, den viele als Anwärter auf den Literaturnobelpreis sehen.
Dramatisch ist die Lage bis heute: Nach wie vor hat niemand die politische Verantwortung für die Katastrophe in Fukushima übernommen. Und die Lage im AKW ist nicht unter Kontrolle, auch wenn die Politiker in Tokio vor allem im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2020 betonen, dass alles sicher sei. Und obwohl sich die Hälfte der Bevölkerung in Japan gegen die Atomkraft ausspricht, hält die Politik daran fest.
"Wenn es in Japan, so wie in Deutschland oder Italien, eine Volksabstimmung geben würde, dann wäre eine Mehrheit gegen die Atomkraft", sagt Murakami. "Aber leider gibt es in Japan das System der Volksabstimmung nicht. Und daher geht das nicht. Es gibt zum Beispiel keinen Politiker, dem ich sagen kann: Steigt aus der Atomkraft aus und schlagt einen völlig anderen Weg ein! Und der das aufgreifen würde. Das ist ein großes Unglück."
Bleibt abzuwarten, welche Überraschungen - literarisch und auch sonst - Haruki Murakami in nächster Zeit bereit hält. Denn dass er bereits am nächsten Roman arbeitet, ist angesichts seiner Produktivität und jugendlichen Frische anzunehmen.