Jonathan Lethem im Gespräch

Mit Titeln wie "Motherless Brooklyn", "Die Festung der Einsamkeit" und "Chronic City" hat Jonathan Lethem in den letzten Jahren immer wieder für Bestseller gesorgt. Daneben hat er aber auch die Kritik begeistert, denn er zeigte sich mit seinen Büchern als Wanderer zwischen den Genres.

Mit Detektivromanen erwies er Krimiautoren wie Raymond Chandler seine Reverenz, mit seinem Ausflug ins Science-Fiction-Genre verbeugte er sich vor Philip K. Dick und dann ließ er auch immer wieder seine Familiengeschichte in seine Bücher einfließen. So auch in seinem neuen Roman "Dissident Gardens", also "Der Garten der Dissidenten", der im Februar in deutscher Übersetzung erscheinen wird. Hier beobachtet Lethem in einem generationenübergreifenden Familienepos die Geschichte der amerikanischen Linken. Dabei hat er Erstaunliches über die kommunistische Bewegung in den USA herausgefunden.

Kulturjournal, 21.01.2014

Wolfgang Popp: Jonathan Lethem, "Der Garten der Dissidenten" zeigt die amerikanische Linke von den 1930er Jahren bis hinauf in die Gegenwart. Was war der Ausgangspunkt für Ihren Roman?
Jonathan Lethem: Ich bin in einer Familie von Protestlern aufgewachsen und für mich war das ein ganz normaler Zustand, dieses Opponieren gegen den kulturellen und politischen Mainstream. Irgendwann habe ich aber bemerkt, dass ich aus dieser Widerständigkeit herausgewachsen bin und dass es plötzlich schwierig war, anderen diese Welt, aus der ich kam, zu erklären. Am Anfang des Buches steht deshalb ein autobiografischer Impuls. Ich wollte einfach zeigen, dass es diese Lebensentwürfe und eine kommunistische Bewegung in den USA tatsächlich gegeben hat. Vielen erscheint das heutzutage nämlich wie eine Fantasie, ein Traum oder ein Witz, dabei leben noch so viele Menschen, die ihre ganze Existenz dieser politischen Bewegung gewidmet haben.

Ein wichtiger Teil ihres Buches spielt in den 1950er Jahren, wie haben Sie recherchiert, um zu einem stimmigen Porträt dieser Zeit zu kommen?
Die späten 1950er und frühen 1960er Jahre sind wirklich das Zentrum meines Buches, auch wenn die Geschichte früher beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Diese Zeit ist für mich stark emotional besetzt und deshalb war es für mich sehr wichtig, ein gründliches Verständnis für sie zu entwickeln. Die Menschen aus meiner Familie, die ich hätte fragen können, waren jedoch schon alle tot und so las ich Romane aus der Zeit und Memoiren und sprach mit anderen Zeitzeugen, bis ich das Gefühl hatte, mich auszukennen in dieser Ära. Die Vorbereitung für das Buch war sehr aufwendig. Ich habe noch nie so viel recherchiert wie für diesen Roman.

Die Details, die sie ausgegraben haben, sind sehr speziell. Sie ziehen da Kriminalfälle, Kinderbücher und Sportergebnisse heran, um Zeit und Zeitgeist zu beschreiben. Wie sind Sie auf diese Informationen gestoßen?
Ich glaube, ich habe einen besonderen Instinkt dafür, das Leben an verborgenen Orten zu entdecken. Außerdem wollte ich keine Forrest-Gump-Geschichtsschreibung betreiben und nur die großen historischen Ereignisse erwähnen. Deshalb kommen in meiner Beschreibung der 60er Jahre auch keine Attentate und in meinen 50er Jahren keine antikommunistischen McCarthy-Gerichtsverhandlungen vor. Die Kommunisten in meinem Buch brachten es ja auch nicht zu einer so großen Bedeutung, dass die Politik auf sie aufmerksam geworden wäre. Ihre Triumphe und Niederlagen spielten sich vornehmlich im Privaten ab. Und auch in der Gegenwart lasse ich meine Figur nicht an den Occupy-Demonstrationen nahe der Wall-Street teilnehmen, sondern nur auf einem kleinen College-Campus in New England. Ich weiß nicht warum, aber ich zeige das Leben lieber aus der Perspektive des kleinen Mannes.

Musik spielt eine große Rolle in ihrem Buch. Natürlich kommt Bob Dylan vor, ohne den geht es in der Zeit gar nicht, aber auch darüber hinaus kommen immer wieder Musiker, Songs und Songtexte vor.
Musik fasziniert mich, weil ich keinerlei musikalisches Talent besitze. Mir kommt sie deshalb fast esoterisch vor, wie etwas, zu dem ich außer als Hörer keinerlei Zugang habe. Beim Schreiben interessiert mich immer, welche Rolle kulturelle Güter für unsere Identität spielen. Es sind ja Dinge wie Songs, aber auch Kleidung, Bücher und Filme, die zu definieren scheinen, wer wir sind oder sein möchten. Und in den 1960ern war die Politik das große Thema in der Kultur. Sie wurde zum Inhalt vieler Songs und das zeigte, wie stark der Wunsch damals war, die Welt zu verändern.

Im New Yorker Stadtteil Queens gibt es einen ganz besonderen Ort, der ein wichtiger Schauplatz in ihrem Roman ist. Er trägt den klingenden Namen Sunnyside Gardens. Was verbirgt sich da dahinter?
Es gibt nicht viele Amerikaner, die diese Siedlung kennen, aber ich stieß schon als Kind auf dieses Dorf mitten in der Stadt, weil es zufällig am Ende unserer Straße lag. Es war ein sozialistisches Utopia, das aber gescheitert war. Sunnyside Gardens war mehr als nur eine Wohnsiedlung. Man hatte da versucht, einen Traum vom besseren Leben zu verwirklichen. Vielleicht ist so etwas immer zum Scheitern verurteilt, aber als Geste halte ich solche Projekte für sehr wichtig.

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