Zwei neue Biografien
Max Weber
Er ist der Shooting-Star der im Entstehen begriffenen deutschen Sozialwissenschaft, begabt, begütert, gut vernetzt und dazu noch trinkfest und äußerst streitbar: Max Weber, der schon als Kind gelehrte Werke verschlingt und mit seinem bildungsbürgerliche Umfeld diskutiert, schafft den Aufstieg in den Gelehrtenolymp in rasantem Tempo.
8. April 2017, 21:58
Er promoviert als Jurist, habilitiert als Nationalökonom und verwirklicht sich schließlich als Pionier der Soziologe, einer neuen Disziplin, um deren Methode erst gerungen wird. Schon mit 32 Jahren erreicht er seinen vorläufigen Zenit als Professor für Nationalökonomie an der renommierten Universität Heidelberg, obwohl er der dort gepflogenen deutschen Schule der Nationalökonomie mit ihrem Hang zur Geschichtsmetaphysik, zu Volksgeist und Volkscharakter, äußerst kritisch gegenüber steht.
Für die Wertfreiheit der Wissenschaft
Im Wilhelminischen Deutschland, das sich als Nation gerade konstituiert und daher das Besondere an der deutschen Entwicklung hervorhebt, begibt sich der politisch national-liberale Weber in einen Kampf für die Wertfreiheit der Wissenschaft, wo diese von Weltanschauungsfragen und Parteinahmen für Politik vereinnahmt ist. Politik und politische Wissenschaft beginnt er als getrennte Berufe zu verstehen.
Doch schon mit 35 Jahren erleidet Weber einen schweren psychischen Zusammenbruch, der ihn zur Aufgabe seiner Professur zwingt. Die wesentlichen Teile seines Werkes entstehen erst nach der Rekonvaleszenz, als Weber seine wissenschaftliche Arbeit als Privatgelehrter fortsetzt. Es ist jedoch weiter eine von fachlichen und schweren persönlichen Krisen geprägte Entwicklung, die bisher alle Biografen Max Webers ausgiebig diskutiert haben. Jürgen Kaube weigert sich, den psychologischen Spekulationen eine weitere hinzuzufügen und fasst zusammen:
Zitat
Zunächst war es die Krise eines Gelehrten, der in keinem der Fächer, die er studiert hatte und danach in der Lehre vertrat, und in keiner Schule mehr zu Hause war. Weber war kein Jurist mehr, aber die historische Forschung war auch nicht das, was ihm vorschwebte. (...) Die Soziologie wiederum, zu der er sich nun langsam hinarbeitete, existierte als Fach noch gar nicht, und das, was es an stabilen Traditionen in ihr schon gab, die französische und englische, lehnte er ab. Man kann sich Gelehrte vorstellen, die auf weniger einsamen Posten stehen.
Kampf der Werte
In permanenter Selbstüberforderung begibt sich Max Weber auf die manische Suche nach objektiven, "entzauberten" Zugängen zur sozialen Welt, die dennoch auf der Seite der Sinn-deutenden Kulturwissenschaften bleiben. Diese empirische Wissenschaft kann keine Letztfragen beantworten wie die Philosophie, niemanden lehren, was er soll, wohl aber, was er kann und will.
Im Kampf der Werte, den er den "Kampf der Götter" nennt, kann die Wissenschaft zwar ordnen und analysieren, aber keine Entscheidung herbei führen, was letztlich den modernen Menschen zu radikaler Freiheit - verstanden als Verantwortung - verpflichtet. Zu diesen Einsichten gelangt Max Weber über seine Lebensfrage, warum nur im Okzident diese nüchterne, eben "entzauberte" Welterfassung entstanden ist, deren rationale Prinzipien die Grundlagen der modernen Welt bilden und deren Wirtschaftsform der Kapitalismus ist.
Im Unterschied zu seinen Kollegen legt Weber dem kapitalistischen Geist die protestantische Ethik zugrunde und meint damit jene religiöse Askese, die das weltliche Leben streng reglementiert und rationalisiert, auf der Suche nach Erlösungszeichen Gottes. Es sind somit weder ökonomische Gründe, wie es der Marxismus determinierte, noch zufällige Gründe, sondern letztlich ideell-religiöse Werthaltungen, die zur kapitalistischen Wirtschaftsform führten.
Mehr Details bei Dirk Kaesler
Bei der Analyse der Werkgeschichte übertrifft Dirk Kaesler seinen Biografenkonkurrenten Jürgen Kaube an Genauigkeit und Detailkenntnis, hat er sich doch ein intellektuelles Leben lang mit Max Weber beschäftigt und sein 1.000-seitiges Werk in mehr als 20 Jahren verfasst. Der Hamburger Soziologe seziert jeden Schritt, der zur Ausführung dieses Werkes führte und kommt, wie auch andere, zum Schluss, dass die weltberühmte "Weber-These" nicht nur historische Fehler enthält, sondern heute in vielen Punkten als widerlegt gelten muss:
Zitat
Jedoch (...) lässt sie sich bis heute keineswegs in das Archiv historischer Kuriositäten verbannen. Zum einen sind gerade diese Arbeiten Webers (...) seine unstrittig wirkungsvollsten Texte, die er nicht nur dem klassischen Erbe der Soziologie vermachte, sondern dem Bestand bedeutender "großer Erzählungen" der Menschheit, mit der diese seit über hundert Jahren sich einen Reim auf ihre Geschichte und Zukunft machen sucht.
Wenn Weber die Moderne und die moderne Wissenschaft entzauberte, so entzaubert Jürgen Kaube die Max-Weber-Biografik, indem er den überinterpretierten Geistesgiganten weder idealisiert noch pathologisiert, wie dies vielfach geschehen ist.
In Lebenswelten eindringen
Der äußerst sachkundige Soziologe und Wissenschaftsjournalist sucht Webers Kreativität aus dem Epochenbruch zu erklären, dem Zerfall jener von Stefan Zweig so prägnant als "steinernes Haus" bezeichneten vermeintlich sicheren bürgerlichen Welt, die an eine vernünftige progressive Entwicklung glaubt, sich aber 1914 mit den destruktiven Kräften des mitgetragenen Nationalismus' konfrontiert sieht und ökonomisch zusammen bricht.
Wenngleich Weber diese Krisen reflektiert und eine zeitweilige Lösung in einem charismatischen Führer sieht, und sich auch in seiner Lebensführung der neuen Zeit gegenüber öffnet, so darf jedoch nicht übersehen werden, dass Webers wissenschaftiches Werk zu prinzipiellen Einsichten gelangt, die das Besondere seiner Epoche überwinden, mögen sie auch heute als teilweise überholt gelten.
Wegen seiner prinzipiellen Einsicht blieb jedoch Webers Werk bis heute bestehen während viele seiner Zeitgenossen in Vergessenheit geraten sind. Zu dieser Erkenntnis gelangt Dirk Kaesler eher als Jürgen Kaube, der aus der Vogelperspektive zusammenfasst und dabei einige neue Weber-Bilder entstehen lässt. Dirk Kaesler bietet die große, konventionell verfasste Biografie, die alles aufgreift, was an Weber Quellen verfügbar ist.
Webers Krankheit, die vielen Stationen seiner Genesung, werden hier ausführlich behandelt und mit der Familien- und Werkgeschichte verknüpft. Kaesler versucht tief in die Lebenswelten einzudringen, er erklärt Weber aus den drei Identitätsmomenten Preuße, Denker und Muttersohn, enthält sich aber einer großen abschließenden Zusammenschau.
Service
Jürgen Kaube, "Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen", Rowohlt Verlag
Dirk Kaesler, "Max Weber: Preuße, Denker, Muttersohn", C. H. Beck
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