Der Atem der Gefäße

2011 veröffentlichte der Engländer Edmund de Waal unter dem Titel "Der Hase mit den Bernsteinaugen" die bewegte Geschichte seiner jüdischen Familie und landete damit einen internationalen Bestseller. Jetzt kann man Edmund de Waal als Keramikkünstler im Theseustempel im Wiener Volksgarten kennenlernen. In dieser Dependance des Wiener Kunsthistorischen Museums zeigt der Brite seine Installation "Lichtzwang".

Kulturjournal, 30.04.2014

Von Celan inspiriert

Es sind zwei riesenhafte Vitrinen, in denen Edmund de Waal seine grazilen Porzellangefäße präsentiert, alle in zurückhaltenden Weißtönen gehalten und auf rhythmische Weise arrangiert. Es war das Gedicht "Lichtzwang" von Paul Celan, das ihn zu der gleichnamigen Installation inspiriert hat. Edmund de Waal: "Umso mehr Zeit man mit Gedichten verbringt, umso bewusster werden einem bestimmte Phrasen, Brüche und Pausen. Und bei Celan kommen noch diese besondere Gewalt und dieser Schmerz dazu, durch die er Wörter zu neuen Begriffen zusammenzwingt."

Reaktion auf Verlust

Keine zehn Minuten geht man vom Theseustempel bis zum Palais Ephrussi gegenüber der Universität, dem einstigen Familiensitz von Edmund de Waals Großeltern. Die Ephrussis waren vor dem Anschluss wohlhabende Bankiers und großzügige Mäzene. Als die Nazis an die Macht kamen wurden ihre Besitztümer und damit zahlreiche Erinnerungen an sie in alle Himmelsrichtungen zerstreut.

Mit seiner Installation wollte de Waal auch auf diesen Verlust reagieren: "Porzellan ist ein sehr empfindliches und zerbrechliches Material und die Objekte, die ich daraus herstelle, sind außerdem sehr klein und werden von mir in Vitrinen arrangiert. Und genauso geht es auch in meiner Familiengeschichte um kleine, filigrane Gegenstände, die leicht verloren gehen können. Meine Installation sehe ich deshalb auch als Echo auf meine Familiengeschichte, wobei die Art der Präsentation ganz neu sein sollte."

Wofür die Netsuke stehen

Seine Familiengeschichte hat de Waal über japanische Miniaturstatuetten, sogenannte Netsuke, erzählt, die sich seit Jahrzehnten im Familienbesitz befunden haben. Sieben Jahre lang hat der Brite damals an seinem Buch gearbeitet und manisch jeden Ort aufgesucht, an den auch die fragilen Figürchen verschlagen wurden.

Edmund de Waal: "Gegenstände können für bestimmte Menschen stehen, aber auch für Gefühle oder Erinnerungen. Und die Art und Weise, wie sie weitergegeben wurden, ob sie jetzt also verkauft, verschenkt oder vererbt wurden, oder ob sie verloren gegangen sind und wiedergefunden wurden, trägt jetzt zur besonderen Patina oder Wirkung eines Objekts bei."

Neues Buch über Geschichte des Porzellans

Sein erstes Gefäß hat Edmund de Waal bereits im Alter von fünf Jahren getöpfert, später lernte er das Handwerk bei Meistern in Japan. Derzeit widmet er sich neben seiner künstlerischen Tätigkeit auch wieder dem Schreiben: "In meinem neuen Buch möchte ich die Geschichte des Porzellans nachzeichnen. Ich beginne mit den Anfängen in China vor 1200 Jahren und beobachte dann, was dieses Material bei seinem Weg um die Welt alles ausgelöst hat. Welche Leidenschaften es zum Beispiel entfacht hat, mit welchen Geheimnissen es behaftet wurde und wie es Philosophen und Künstler dazu inspiriert hat, über die Farbe Weiß nachzudenken: Von Newton und Leibnitz über Goethe bis zu Wittgenstein und Malewitsch."

Keramik und Töpferei wurden bisher meist leichtfertig dem Kunsthandwerk zugerechnet. In Edmund de Waals Installation "Lichtzwang" halten sie jetzt auf beeindruckende Weise Einzug in die Gegenwartskunst. Und wirken hier wie ein Plädoyer dafür, nach Jahren der konzeptuellen Überlast dem tatsächlichen Machen und Gestalten wieder mehr Platz einzuräumen.