EU-Wahluntersuchung: Ende der Stammwähler?

In Österreich fühlen sich immer weniger Menschen an eine der traditionellen Parteien gebunden. Konkret identifizieren sich fast 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht mehr mit einer Partei, wie eine Untersuchung der Politikwissenschafter Fritz Plasser und Franz Sommer nach der EU-Wahl unter 1.100 Wählern und 400 Nicht-Wählern zeigt. Für SPÖ und ÖVP sind das wenig rosige Zukunftsaussichten.

Mittagsjournal, 21.6.2014

In Zukunft kaum Stammwähler

Warum soll eine heute 30jährige Frau in 20 Jahren ihr Kreuzerl bei SPÖ oder ÖVP machen, obwohl sie bis dahin mit diesen beiden Parteien wenig bis gar nichts am Hut hatte? Während bisher das ältere Wählersegment für SPÖ und ÖVP quasi eine sichere Bank war, dürfte es damit in naher Zukunft vorbei sein, sagt Politikwissenschaftler Fritz Plasser. Die traditionelle Parteienbindung sei in Auflösung begriffen, diese Tendenz habe sich bei der vergangenen Europawahl einmal mehr gezeigt.

Das heißt auch: SPÖ und ÖVP können nicht mehr damit rechnen, dass ihnen die Wähler ab einem bestimmten Alter quasi automatisch in den Schoß fallen werden. "Was wir über die Jahre beobachten können, ist, dass Personen, die in jüngeren Jahren keine Parteineigung haben, auch in späteren Jahren nicht mehr zu gebundenen Wählern oder Stammwählern werden", sagt Studienautor Fritz Plasser. Die Trend würden darauf hindeuten, dass es in 15 bis 20 Jahren nur mehr eine Minderheit gibt, die sich stark mit einer Partei identifiziert und ein loyales Wählerverhalten an den Tag legt, so Plasser.

SPÖ und ÖVP müssen besser kommunizieren

Zur Veranschaulichung: In den 1970er-Jahren haben sich noch 65 Prozent der Menschen in Österreich mit einer Partei identifiziert, heute sind es nur mehr rund 42 Prozent. In Zukunft wird der Anteil der Partei-Ungebundenen deutlich steigen. Für die Traditionsparteien SPÖ und ÖVP heißt das, dass sie mehr Geld und Zeit in die Kommunikation stecken müssen. Es wird nicht mehr reichen, so Plasser, dass die SPÖ in Wahlkampfzeiten ganz allgemein auf ihre Kernkompetenz im Sozialen verweist oder die ÖVP auf die Wirtschaft. Das müsse die ganze Regierungsperiode über gemacht werden - und zwar viel eindringlicher.

Für Politikwissenschaftler Plasser weist der aktuelle Streit um die Steuerreform bereits in diese Richtung: "Beide Regierungsparteien versuchen sich nicht in der Mitte der Legislaturperiode, sondern bereits neun Monate nach der Nationalratswahl deutlich und sehr erkennbar zu positionieren." Unverkennbar würden SPÖ und ÖVP aber auch unter dem Druck stehen, dass parteiungebundene Wählerströmungen anderes von den Parteien wollen als aus Stammwählersicht geboten erscheint, so Plasser.

Wahlrechtsreform notwendig

SPÖ und ÖVP müssen sich also künftig mit ihren Botschaften an die stark wachsenden Wechselwähler wenden. "Tun sie das nicht, ist ihr Abstieg de facto vorprogrammiert", so der Politikwissenschaftler.

Um nach künftigen Wahlgängen überhaupt noch klare Mehrheitsverhältnisse für eine Regierungsbildung zustande zu bringen, rät der Politologe zu einer umfassenden Wahlrechtsreform "in Richtung eines Mehrheitswahlsystems". Dann gebe es nämlich die Möglichkeit, dass auch eine Partei eine handlungsfähige Regierung bildet, sofern sie im Wahlkampf eine Mehrheit zustande gebracht hat, die über ihre Stammwählerschaft hinausgeht, sagt Plasser. Doch auch der Politologe weiß, dass dafür zur Zeit weder bei den Regierungsparteien noch innerhalb der Opposition der Wille vorhanden ist.

Übersicht

  • EU-Wahl 2014