Short Stories Conference in Wien

Im Wiener Juridicum findet derzeit eine internationale Konferenz statt, die sich der Kurzgeschichte widmet. Schriftsteller treffen hier auf Akademiker, Literaturwissenschaftler auf Kulturhistoriker und westliche Geschichten auf Erzählungen aus Afrika und Asien.

Vor allem den Literaturen Chinas und Indiens wird auf dem Symposion viel Platz eingeräumt und da sind es vor allem Schriftstellerinnen, die sich der Kurzgeschichte bedienen - zum einen um sich Gedanken über neue gesellschaftliche Phänomene zu machen und zum anderen, um über die Situation von Frauen in ihrem Land zu sprechen. Und da konnte man erfahren, dass die Verhältnisse oft ganz andere sind, als die Medien das einem vorgaukeln.

Kulturjournal, 17.07.2014

Kurzgeschichten spielen in der indischen Literatur eine bedeutende Rolle. Sie sind kein Minderheitenprogramm, sondern gehören zum Lesealltag, denn in den Beilagen der großen Tageszeitungen ist für sie ein fixer Platz reserviert. Schriftstellerinnen stehen da gleichrangig neben ihren männlichen Kollegen, der Tonfall in ihren Geschichten hat sich aber auffallend geändert, so Sangita Ghodake von der Universität Pune:

"Heutzutage zeigt sich in der Literatur ein Wandel hin zu mehr Realismus. Von der mystischen Darstellung von Frauen haben wir uns mittlerweile gelöst. Jetzt geht es um wirkliche Sorgen, Nöte und Ängste. In den Kurzgeschichten von Kiran Desai und Arundhati Roy werden die Lebensverhältnisse indischer Frauen authentisch dargestellt. Diese Schriftstellerinnen haben uns eine neue intellektuelle Identität verschafft."

Schriftstellerinnen aus der Oberschicht

Arundhati Roy hat 1997 mit ihrem Roman "Der Gott der kleinen Dinge" einen internationalen Bestseller verfasst, der ihr 1998 den Man Booker Prize eingebracht hat. Und ihre Kollegin Kiran Desai hat den begehrten Preis 2006 für ihr Buch "Erbin des verlorenen Landes" verliehen bekommen. Während Desai ihren Wohnsitz schon lange in die U.S.A. verlegt hat, lebt Roy noch immer in Delhi. Beide schreiben sie ihre Romane auf Englisch.

Bharati Belsare von der Symbiosis International University: "Die Schriftstellerinnen, die auf Englisch schreiben, stammen alle aus der Oberschicht und zeigen deshalb oft nur deren Situation. Es gibt aber auch sehr starke weibliche Stimmen, die in ihren lokalen Dialekten schreiben. Sie werden kaum übersetzt und sind deshalb weitgehend unbekannt. In ihren Geschichten zeigt sich eine ganz andere Perspektive, die mir oft viel wahrhaftiger erscheint."

Aus dem wirklichen Leben

Viel weist also daraufhin, dass Frauen in der traditionell patriarchalischen indischen Gesellschaft in Sachen Gleichberechtigung einiges an Boden gut gemacht haben. Umso mehr schockierten die Berichte von Gewaltverbrechen gegen Frauen in Indien, von denen die Medien in den letzten Jahren berichteten. Allen voran der Fall einer jungen Frau, die in einem Linienbus in Delhi mehrfach vergewaltigt worden war.

"Natürlich war das ein tragischer Fall", sagt Sangita Ghodake. "Er wurde von den Medien aber hochgespielt. Gemessen an der Einwohnerzahl hält sich die Kriminalitätsrate in Indien sehr in Grenzen. Ich lebe in der 8-Millionen-Metropole Pune und wenn ich abends um zehn alleine nach Hause gehe, fühle ich mich vollkommen sicher."

Wie immer wirken sich solche Negativberichte viel stärker auf das Gesamtbild aus, als die positiven Errungenschaften, so Sangita Ghodake weiter. "Denn schauen Sie, wir sind sechs Frauen, die hier auf der Konferenz unser Land international vertreten."

Schreibende Frauen aus China

Wir wechseln den Schauplatz und werfen einen Blick nach China. In der von den Zensurbestimmungen lange Zeit über sehr prüde gehaltenen Literaturlandschaft sorgten schon in den 1990er Jahren zwei Schriftstellerinnen für Aufsehen. Mian Mian und Wei Hui schrieben damals sehr freizügig über das Shanghaier Nachtleben, Alkohol und Drogen und ihre meist westlichen Liebhaber.

Lucy Xiahong Lu, Literaturwissenschaftlerin an der East China Normal University: "Sie waren in den 90er Jahren sehr populär, doch dann gab es eine Hinwendung zu ernsthafteren Themen. Unter den Schriftstellerinnen gibt es jetzt ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein und auch einen starken Drang, ganz neue Bereiche zu erkunden. Die Oberflächlichkeit dieser Pop-Literatinnen wird jedenfalls kaum noch geschätzt."

Die neuen Geschichten drehen sich um soziale und ökologische Probleme. Es geht um Umweltverschmutzung, den Verkehrskollaps in den Großstädten und die Überalterung der Gesellschaft. Auf der Konferenz stellt Lucy Xiahong Lu das Werk der Schriftstellerin Fan Xiaoqing vor. Diese hat früher über den Alltag der kleinen Leute in ihrer Heimatstadt Suzhou geschrieben. Ihre neuen Geschichten drehen sich jetzt darum, wie die neuen Kommunikationsmedien die zwischenmenschlichen Beziehungen in China verändert haben.

Lucy Xiahong Lu: "In einer ihrer Kurzgeschichten geht es um ein SMS, das an den falschen Adressaten geschickt wird und daraufhin in einem Büro für ein heilloses Durcheinander sorgt. Es kommt zu Missverständnissen und es zeigt sich, wie durch einen falschen Knopfdruck die Privatsphäre einer Person völlig zerstört werden kann." Nachrichten vom anderen Ende der Welt, die gar nicht so unvertraut klingen und die Lust dazu machen, beim nächsten Bücherkauf am Bestsellertisch vorbeizugehen und nach Neuerscheinungen aus Indien und China zu fragen.