Neoliberalismus und die neuen Machttechniken

Psychopolitik

Byung-Chul Han ist Philosoph, lehrt an der Universität der Künste in Berlin und schreibt ausschließlich dünne, wie er sagt, "knöcherne" Bücher. Knöchern wohl weil sie sich auf das Wesentliche, das Skelett, den Halteapparat eines Themas beschränken. Sein neuestes Buch heißt "Psychopolitik - Neoliberalismus und neue Machttechniken".

Byung-Chul Hans erfolgreichstes Werk stammt aus dem Jahr 2010 und heißt "Müdigkeitsgesellschaft", konnte allerdings die Kritiker nicht so ganz überzeugen: zu wirr und unverständlich. Vielgelobt war "Die Agonie des Eros" aus dem vorletzten Jahr. Nun erscheint "Psychopolitik - Neoliberalismus und neue Machttechniken". In all den genannten Arbeiten bezieht Han sich auf Verwerfungen, die er beim Übergang von der analogen zur digitalen Gesellschaft ausmacht. Auch "Psychopolitik" ist ein Ideenwerk über die Gegenwart - gemäß der Einsicht Hegels, den Han sehr schätzt: "Philosophie ist ihre Zeit, in Gedanken erfasst".

Zeit des Übergangs

Dieses Buch handelt von den Folgen dessen, was Wirtschaftswissenschaftler "Disruption" nennen. Gemeint ist das Ende der analogen Arbeitswelt, der analogen Kommunikation, des analogen Konsums, der analogen Politik und ihrer Kontrollorgane, der analogen Presse. Die Devise dieser Disruption lautet: "Let go of the past!" - auf Deutsch etwa: Kümmere dich nicht darum, wie irgendwas früher lief. In Zukunft wird es jedenfalls anders laufen. Disruption bedeutet Abbruch und Neuanfang - woanders. Nämlich in der digitalen Sphäre. Ganz so, als hätten wir es mit zwei Welten zu tun, zwischen denen keine Verbindung besteht.

Byun-Chul Han argumentiert in seinem Buch "Psychopolitik" allerdings nicht nach dem Motto "Let go of the past!", also ahistorisch, sondern er liefert den Abriss einer Theorie über die Gegenwart, die sich aus der Vergangenheit speist. Der in Südkorea geborene Philosoph sucht die Verbindung und hilft uns, die wir in beiden Sphären leben, zu verstehen, wie uns gerade geschieht. Sein Buch beginnt mit dem Satz: "Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein."

Zeiten der Freiheit, sagt Han, sind Zeiten des Übergangs von einer Zwangsherrschaft zur anderen. Wir stünden gerade am Ende einer dieser guten Übergangsperioden. Und den 55-Jährigen interessiert, wieso wir das nicht bemerken. Wieso wir im Vollgefühl der Freiheit nicht bemerken, wie sie sich längst in ein System perfider Zwangsmechanismen verwandelt hat. Im Bereich der Arbeit zum Beispiel:

Depressiv statt revolutionär

Die Ausgebranntheit der Selbstoptimierer und die Depression als Antwort auf die systematische Überforderung war auch Thema von Hans Buch mit dem Titel, "Müdigkeitsgesellschaft". Ebenso schmal, ebenso knapp und schlaglichtartig in der Argumentation wie "Psychopolitik", war es - mit Übersetzungen in elf Sprachen - sein bisher erfolgreichstes Buch.

In beiden Arbeiten geht es um die Volten des Neoliberalismus und der rasenden Lähmung, die uns derzeit ergriffen zu haben scheint. Eine Lähmung, die gepaart ist mit Gefühlen der Orientierungslosigkeit und der Ohnmacht. Wieso setzen wir der offenbar lückenlosen Überwachung unserer digitalen Kommunikation keinen Wiederstand entgegen? Wieso ermöglichen wir sie sogar noch durch "freiwillige Selbstausleuchtung und Selbstentblößung", wie Han ganz richtig bemerkt?

Permanente Kommunikation

Er vergleicht die von Foucault in seinem Klassiker "Überwachen und strafen" beschriebene Disziplinargesellschaft der Vergangenheit mit dem Konsensregime der neoliberalen Netzgesellschaft, das nur positive Äußerungen, nämlich Likes, goutiert.

Wie geschieht das? Mithilfe unserer Daten: Suchanfragen, Downloads, Kauftransaktionen. All diese Daten werden gespeichert, nicht weil wir so interessant wären, sondern weil die Server inzwischen groß genug sind, um all unsere digitalen Bewegungen aufzunehmen. Für irgendetwas wird es schon gut sein.

Big Data

Byung-Chul Hans These ist nun, dass die manische Datensammelei die Freiheit der User beeinträchtigen könnte und er verstrickt sich an dieser Stelle in Wiedersprüche. Einerseits sieht er Big Data verächtlich als "digitalen Dadaismus", als dummen Zahlen-Moloch, der keinen Sinn ergibt, andererseits ist er durchaus der Ansicht, dass wir uns vor Big Data fürchten sollten. Wieso? Weil die miteinander kombinierten Daten eingesetzt werden, um unser künftiges Verhalten vorauszusagen. Das wäre das Ende der Freiheit, denn Freiheit bedeute immer Offenheit des Ausgangs, nicht Gefangenschaft in einem berechenbaren Verhaltenssetting.

Wie frei ist der Mensch im Zeitalter der digitalen Transparenz? In seinem Buch "Psychopolitik - Neoliberalismus und die neuen Machttechniken" interpretiert Byung-Chul Han die aktuelle Entwicklung in einer kompakten, eleganten, verständlichen Sprache, die stellenweise beachtliche Schlagkraft entwickelt. Und auch wenn Hans Buch manchmal Fragen aufwirft, es zu lesen wirkt zu allererst einmal erleichternd, denn es gibt uns Begriffe und Ideen an die Hand, wie unser bisher weitgehend stumm gebliebenes Unbehagen an der Gegenwart zu erklären wäre.

Service

Byung-Chul Han, "Psychopolitik - Neoliberalismus und die neuen Machttechniken", S. Fischer Verlag

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