Eine Kulturgeschichte von Rainer Pöppinghege
Tiere im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg und die Geschichte von unten, der Erste Weltkrieg und die Frauen, der Erste Weltkrieg und die Medien. Auch Historiker folgen Moden und wenn ein Gegenstand ohnehin Konjunktur hat, lässt ein Titel wie "Tiere im Ersten Weltkrieg" nicht lange auf sich warten.
26. April 2017, 13:56
Der Historiker Rainer Pöppinghege verweist denn auch nur kurz auf die "Exotik" seines 140-Seiten Essays, der ein wenig hochtrabend mit "Eine Kulturgeschichte" untertitelt ist. Eröffnet wird sogleich mit einem äußerst suggestiven Bild:
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In das Grollen der unaufhörlichen Stahlgewitter, in das Rattern der Maschinengewehre mischte sich millionenfaches Hufgetrappel, bellten tausendfach Hunde und vernahm man das unaufdringliche Flügelschlagen fliegender Brieftauben. Der Erste Weltkrieg war der letzte größere Krieg, in dem Reit-, Last- und Zugtiere mehr als nur subsidiäre Funktionen ausübten.
Auch wenn der erste industrialisierte Krieg mit seinen ungeheuren Materialschlachten eigentlich keinerlei Spielraum für Sentimentalitäten ließ, von den "vierbeinigen Kameraden" - den Hunden an der Front, den "gefiederten Freunden" - den Brieftauben des Meldewesens, und der "Pflichterfüllung" deutscher Pferde war schon bald umso mehr die Rede. Pöppinghege skizziert knapp die historische Mensch-Tier-Beziehung, die im anglosächsischen Raum als "Human-animal-Studies" seit geraumer Zeit eine akademische Disziplin ist, und befindet mit Blick auf den Ersten Weltkrieg:
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Die Emotionalisierung von Mensch-Tier-Beziehungen trat zu dem Zeitpunkt auf den Plan, an dem der moderne Mensch begann, das Tier aus seiner täglichen Arbeitssphäre zu verdrängen und durch Dampfmaschinen und Motorkraft zu ersetzen.
Die Rede ist von "Anthropomorphisierung", der Projektion menschlicher Wünsche und Vorstellungen auf Tiere. Dazu gehören all die Frontmaskottchen oder auch der martialische Name "Tiger" für ein Hundegespann der österreichischen Armee; an der Ostfront werden Wanzen und Läuse selbstreden als "Russen" bezeichnet. Aber dem Historiker gehe es ohnedies um mehr - um Strukturgeschichte.
Pferde im Einsatz
Unmittelbar nach der Veröffentlichung der "Bekanntmachung betreffend Aushebung der Pferde für die Mobilmachung der Armee" stellte die deutsche Heeresleitung einen Engpass an Pferden, dem zentralen Tier des Ersten Weltkrieges, fest. Pferde kamen zur Musterung (85 Prozent der gemusterten Tiere galten als kriegstauglich); Zugpferde wurden Tauglichkeitstests unterzogen, bei denen sie sie Gespanne im schlammigen Gelände ziehen mussten.
Die Aufstockung des Pferdebestandes führte zu deren Mangel in der Landwirtschaft, der Einsatz von Rindern als Zugtiere hatte seinerseits negative Auswirkungen auf die Produktion von Fleisch und Milch. Luxuspferde der Aristokratie und des Bürgertums, die nicht zum Militärdienst eingezogen wurden, gerieten ins Visier einer kritischen Öffentlichkeit. Vor allem bedeutete der Einsatz von Pferden im Krieg auch einen gewaltigen Boom am internationalen Pferdemarkt.
Pöppinghege konzentriert sich im Wesentlichen auf deutsche Verhältnisse, es gibt aber auch Ausblicke auf alle anderen Kriegsparteien. Die Briten kauften etwa 16 Millionen Pferde und Maultiere in den USA für den Einsatz an sämtlichen Fronten; in Indien erstanden sie 6000 Kamele. Die italienische Armee erwarb von ihren Bauern 100.000 Esel.
Das Résumé in Zahlen: Beim deutschen Feldheer standen zwischen 1914 und 1918 an die eineinhalb Millionen Pferde im Einsatz; betrug der deutsche Pferdebestand vor dem Krieg 4,7 Millionen Tiere, waren es nach dem Krieg nur noch 3,3 Millionen. Aus dem Krieg kehrte eine halbe Million britischer Pferde nicht mehr heim, die französischen Verluste betrugen eine Million. Insgesamt fielen acht Millionen Pferde dem Ersten Weltkrieg zum Opfer.
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Die moralische Frage, ob man Tier im Krieg einsetzen darf, haben sich die wenigsten Zeitgenossen weder im Ersten Weltkrieg noch in vorherigen Kriegen gestellt.
Den Militärs ging es um den Nutzen der Tiere. Der Historiker berichtet ausführlich über die Diskussionen der Strategen, ob es in Zeiten von Stellungskriegen noch zeitgemäß war, die Kavallerie mit Lanzen zu versehen; vor allem aber über die überstürzte Errichtung von Pferdelazaretten, weil die Heeresleitung zu Kriegsbeginn offenbar nicht an die Verletzungen der Tier dachte. Das Bild des Pferdes mit Gasmaske ist bekannt - die häufigsten Verletzungen der Tiere waren aber Schusswunden. Den Rotz, die damals bekannteste Pferdekrankheit, gelang es zu bekämpfen, bald kam man aber auch auf die Idee, Rotzbakterien gegen Pferde und Vieh feindlicher Staaten einzusetzen.
Hunde und Brieftauben
Weniger spektakulär als das bis heute archaisch wirkende Kapitel Pferd und Krieg muten Hunde und Brieftauben im Kriegseinsatz an. Deutschland verfügte - wie Großbritannien - über ein organisatorisch vorbildliches Militärhundewesen: Hunde für den Kontrollgang wurden darauf getestet, ob sie "schussfest" wären; d.h. ob es die Hunde schafften, auch bei lautem Gewehr- oder Artilleriebeschuss ihren Aufgaben nachzukommen. Und natürlich finden sich in diesem Zusammenhang auch deutsche Stilblüten, als in Zeiten der Mobilmachung der Hund "nationalisiert" wurde. Ein gewisser Max von Stephanitz, Gründer des Vereines für Deutsche Schäferhunde erklärte nach dem Ersten Weltkrieg:
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Wir können unsere Schäferhundezucht recht wohl mit der menschlichen Gesellschaft vergleichen. (…) Bei der Menschenzucht achten wir leider viel zu wenig oder gar nicht auf all die Dinge, die von Einfluss auf das Erzeugen guter, gesunder und brauchbarer Nachkommenschaft sind.
Eine Episode aus dem Krieg der Brieftauben, die von allen Kriegsparteien eingesetzt wurden, weist auf äußerst düster-prophetische Weise in eine noch schrecklichere Zukunft. Deutsche Militärs internierten in den Markthallen von Brüssel mehrere Tausend Brieftauben. Der Kommandant der belgischen Brieftaubeneinheit setzte einen großen Taubenschlag eigenhändig in Brand, in dem 2.500 Tiere umkamen. Sie sollten nicht den Deutschen überlassen werden.
Beginn der Tierschutzbewegung
Während des Ersten Weltkrieges entstand in Deutschland auch eine radikale - linke Tierschutzbewegung (es gab auch eine konservativ rechte wie im Fall aller Bürgerbewegungen). Diskutiert wurde dort der Gnadenschuss für verwundete Pferde am Schlachtfeld - und noch grundsätzlicher, ob es einen Zusammenhang von Fleischkonsum im Alltag und der Bereitschaft zu militärischer Konfliktlösung gebe.
Magnus Schwantje, Verfasser von "Tiermord und Menschenmord - Vegetarismus und Pazifismus" meinte:
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Wer aber den menschlichen Charakter nicht nur nach dem Verhalten der Menschen gegen ihre Mitmenschen, sondern auch nach ihrem Verhalten gegen die wehrlosen Tiere beurteilt, den konnten die Grausamkeiten dieses Krieges nicht so sehr überraschen.
Die Mensch-Tier-Geschichte des Ersten Weltkriegs hat eine Fortsetzung auch nach Kriegsende, als die Pferdeeinheiten "demilitarisiert" wurden. Französische Meldehunde erhielten ein "Croix militaire", "The Brave Dog of Britain" bekam ein Denkmal, die Nazis verliehen später 3.000 Pferden die Ehrenplakette "Kriegskamerad"!
Geht es ihnen heute besser?
Der abschließende Befund des Historikers Rainer Pöppinghege reicht weit über "Tiere im Ersten Weltkrieg" und den Zeitraum 1914 bis 1918 hinaus: Natürlich sei es aus moralischer Sicht verwerflich, Tiere mit den Angelegenheiten der Menschen zu behelligen und Extremsituationen wie einem Krieg auszusetzen. Dem aber nicht genug:
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Doch sollten wir nicht vorschnell urteilen über frühere Epochen oder ruchlose Militärs: Der zivile Alltag für viele Tiere ist in Zeiten der Massentierhaltung ungleich grauenvoller, quälerischer und todbringend.
Dem kann man nur mit Karl Kraus hinzufügen: "Die wahre Metaphysik (des Friedens) besteht darin, dass einmal Ruhe sein wird. Die Auferstehung der Fleischer widersteht ihr."
Service
Rainer Pöppinghege, "Tiere im Ersten Weltkrieg. Eine Kulturgeschichte", Rotbuch Verlag, Berlin 2014