Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Also nein, ehrgeizig bin ich nicht, aber ich weiß natürlich, sowas sagt man nicht, denn die außerordentlich Ehrgeizigen erkennt man daran, dass sie in aller Öffentlichkeit von sich sagen, überhaupt nicht ehrgeizig zu sein.

In Wien gibt es einen Schauspieler, heute schon ein älterer Herr, allseits beliebt, der immer wenn er ein neues riesiges Tätigkeitsfeld für sich eröffnet, versichert: "Also nein, ehrgeizig bin ich nicht." Ganz im Gegenteil, sagt er, ich will meine Ruh' - und dann kommen halt die Leut' und wollen das von mir und dann jenes, und ich hab’ keine Kraft mehr, "nein" zu sagen.

Allerdings, und das sage jetzt ich, wer den verdammten Blick für schlechte Schauspieler hat, erkennt es sofort: Dieser Theatermann - wie heißt er gschwind? - der den heiteren Melancholiker mimt, ist vom Ehrgeiz zerfressen. Wenn er sich irgendwas im Leben entgehen hat lassen, irgendwas, nach dem er nicht geschnappt hat, dann weiß es kein Mensch - er hat halt durch die rhetorische Abwertung der Angebote alles gekriegt, was er "nicht zu wollen" vorgab.

So bin ich der einzige, für den es wirklich stimmt, dass es mir zu fad ist, irgendeinen Ehrgeiz zu entwickeln. Aber was ich habe, ist ein "falscher" Ehrgeiz und auf den bin ich auch noch stolz. Immer schon wollte ich - entweder aus Rache oder aus Dankbarkeit - in jenen Wiener Theatern auf der Bühne stehen, wo ich mich im Publikum befand. Karin Bergmann, die neue Direktorin des Burgtheaters, hat mein Theaterbesuchertum zitierreif gemacht: "Das Burgtheater", so Karin Bergmann, "muss ein Fels sein, auf den seine Besucher mit Stolz schauen können."

Und ich - ich will von jeder Bühne auch runterschauen können, nein, nein, keineswegs als Künstler, sondern in der Rolle in der ich aufgehe, nämlich simpel als ich selbst. Ich will einfach, das ist mein Ehrgeiz, von der Bühne runter schauen in die Sitzreihen hinein, aus denen ich bei mancher Aufführung nicht rauskonnte, und es bei mancher auch nicht wollte.

War das schön, als ich im Theater von Conny Hannes Mayer, im Theater im Künstlerhaus, der Spielstätte der Komödianten, auf der Bühne stand. Ich sah ins Publikum, von oben hinunter. Ich konnte nichts von dem zurückgeben, was ich bekommen hatte, auch nichts, als ich mit Elisabeth Orth und Martin Schwab auf der Bühne des Akademietheaters Texte von und über Elias Canetti vorlas.

Ja, mittlerweile bin ich in jedem namhaften Wiener Theater auf der Bühne gewesen, zumeist still und unbeobachtet - dies war mein Ehrgeiz, ein falscher Ehrgeiz, denn das bringt einen zumindest äußerlich nicht weiter. Innerlich aber glaube ich: In der Stadt bin ich erst eingemeindet, wenn ich alle Bühnen betreten habe, die mir etwas sagten - egal, ob ich es hasste, ob es mich langweilte oder ob ich es schätzte.