Günter M. Ziegler über den praktischen Wert ästhetischer Zahlen

Mathematik - das ist doch keine Kunst

Als Popstar der Mathematik wird Günter Ziegler herumgereicht. Tatsächlich ist der Zugang des Berliner Mathematikprofessors zur Welt der Zahlen, Formeln und Gleichungen alles andere als traditionell.

Für ihn strahlt Mathematik eine Ästhetik aus, die er mit seinen Mitmenschen teilen möchte - und zwar am liebsten mit jenen, die an den Mathematikunterricht ihrer Schulzeit mit leichtem Gruseln zurückdenken.

Für sein neuestes Werk wählte der mehrfach preisgekrönte Mathematiker daher einen Zugang, den jeder verstehen soll: in einer Art Bilderbuch betrachtet Günther Ziegler gemeinsam mit seinen Leserinnen und Lesern 24 Abbildungen, die zeigen, dass Mathematik mehr ist, als nur das Lösen kniffeliger Aufgaben - wenn auch einige der Zeichnungen, Grafiken und Fotos auf den ersten Blick nur wenig mit Mathematik zu tun haben.

Wie etwa die Geschichte rund um ein Foto, auf dem in Großaufnahme ein 102 Millimeter langer und wenige Millimeter dicker Knochen abgebildet ist. Der Knochen führt den Leser nach Zentralafrika - 22.000 Jahre vor Christus. Aus dieser Zeit nämlich stammt der sogenannte Ishango-Knochen, den ein belgischer Geologe in den 1950er Jahren im Ort Ishango nahe dem Edward-See gefunden hat, und der heute im Museum für Naturgeschichte in Brüssel ausgestellt ist.

Ob das steinzeitliche Knöchlein vom Unterarm eines Pavians oder vom Zehenglied eines Löwen stammt, darüber sind sich die englische und die deutsche Ausgabe der Onlineenzyklopädie Wikipedia nicht einig. Es ist aber auch nicht weiter relevant. Viel bedeutsamer sind die Einkerbungen auf dem Knochen:

Die Markierungen sollen übrigens von einer Frau stammen, ist Günter Ziegler überzeugt:

Der Bedeutung von Frauen in der Mathematik widmet Günter Ziegler ebenfalls eine Geschichte.
Anhand einer Fotoserie rund um die 1882 in Erlangen geborene Mathematikerin Emmy Noether schildert der Autor die Schwierigkeit einer jungen Wissenschafterin, sich in der akademischen Welt zu behaupten. Die begehrte Habilitation an der Universität Göttingen etwa blieb lange Zeit männlichen Kollegen vorbehalten, obwohl sich David Hilbert vom damaligen Weltzentrum der Mathematik in Göttingen für die brillante Mathematikerin einsetzte.

Dass Mathematik auch mit Politik verknüpft ist, zeigt der Autor im Zusammenhang mit dem Foto einer Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau - aufgenommen sechs Tage nach den russischen Parlamentswahlen am 4. Dezember 2011.

Mit beiden Händen hält ein Demonstrant ein Plakat in die Höhe, auf dem die Wahlergebnisse aus allen 95.000 Wahlbezirken grafisch und prozentuell aufgeschlüsselt sind. Darüber und darunter je ein Satz in roten Buchstaben:

Hinter der Grafik stehen drei russische Wissenschafter. Sie haben ihre Analysen der Parlamentswahlen vom 4. Dezember 2011, sowie auch der Präsidentschaftswahlen vom 4. März 2012 unter dem Titel „Statistische Analysen in den Russischen Wahlen 2011 und 2012 aufgedeckt durch 2D-Korrelationsanalyse“ auf einem Webportal veröffentlicht - und damit offenbar einiges bewirkt:

Service

Günter M. Ziegler, "Mathematik - das ist doch keine Kunst", Knaus Verlag

Gestaltung: Sylvia Sammer