Eine Kulturgeschichte

Der Wind oder das himmlische Kind

Stephan Cartier erzählt humorvoll und anschaulich die Geschichte des Windes - von Abenteuern, Irrfahrten und Aberglauben. Und er erklärt Phänomene, über die wir bisher wenig nachgedacht haben, weil sie uns alltäglich erscheinen.

Vom leichten Lüftlerl über die steife Brise bis zum brüllenden Orkan - der Wind weiß uns immer wieder zu überraschen. Seit der Antike wird er erforscht, beeinflusst er doch das Leben der Menschen stetig und nachhaltig. Der Wind selbst ist unsichtbar, wir sehen nur, was er mit uns und der Natur so alles anstellt. Oder wir bemerken, wenn er einfach einmal nicht da ist:

Spuren in der Literatur

Flaute - ein Horror für Kapitäne und Seeleute. Das musste auch Johann Wolfgang von Goethe erleben, bei einer Überfahrt vom sizilianischen Messina nach Neapel. Der Wind schwieg und das Schiff trieb immer näher an die Felsen der Insel Capri. Die Lage spitzte sich zu, doch Rettung nahte - in Form eines leichten Windhauches. Das Schiff entkam den garstigen Klippen. Später verarbeitete Goethe die Erlebnisse in seinem Text "Italienische Reise".

Friedrich Nietzsche wiederum mochte die Windstille, er fand Gefallen an den griechischen Halkyonischen Tagen, benannt nach der antiken Geschichte von den Eisvögeln, zu deren Brutzeit der Gott des Windes, Aiolos, die Winde ruhen ließ. Diese windstillen Tage rund um die Wintersonnenwende dienten als Phase der Entspannung.

Vom heidnischen Windfüttern

Humorvoll, eloquent und anschaulich erzählt Stephan Cartier die Geschichte des Windes. Er verfolgt Spuren, die der Wind in Literatur und Kunst hinterlassen hat und beschreibt so manch skurille Tradition. Etwa das heidnische Windfüttern, das es bis ins 19. Jahrhundert in Österreich und in Süddeutschland gab.

Was hatte der arme Mann getan, dass er sich den Zorn der Hohen Herren auf sich gezogen hatte? Er hatte versucht, den Wind versöhnlich zu stimmen, sodass es eine gute Ernte gab, hatte ihm Mehl, Brösel und andere Speisereste in einem Topf ans Hauseck gestellt. Hexerei, entschied das Gericht.

Anfänge der Windenergie

Mithilfe vieler literarischer Zitate und zahlreicher Abbildungen lässt der Autor den Leser in die Vergangenheit reisen, ins aerodynamische Laboratorium Gustave Eiffels, in die Arktis, wo Polarforscher sich mit dem Phänomen des gefühlten Windes, dem Windchill, beschäftigten, oder zu den Anfängen der Windenergieanlagen, die ab und zu die Phantasie der Ingenieure etwas zu sehr beflügelten.

Der Wind hat den Menschen seit Anbeginn beeinflusst, laut Altem Testament hat er ihn erst lebendig gemacht, als Hauch Gottes. Er war verantwortlich für wirtschaftliche Erfolge und landwirtschaftliche Erträge, brachte Dürre oder Regen.

Ein schlaues Buch, das versucht, ein alltägliches Phänomen einzuordnen und zu erklären, in dem es aber auch viel Spielraum für Interpretationen gibt. Wer alle Kapitel von Windstärke Eins bis Windstärke Zwölf schließlich gelesen hat, wird hinausgehen, um den Wind auf der Haut zu spüren, er wird den Wind mit anderen Augen betrachten und seinem Pfeifen, Singen und Raunen mit aufmerksameren Ohren zuhören. Denn: der Wind, das himmlische Kind, lässt sich nicht so leicht fangen, er ist eben, was er ist: hier ein fleißiger Antreiber und dort ein launischer Rumtreiber.

Service

Stephan Cartier, "Der Wind oder das himmlische Kind - Eine Kulturgeschichte", Transitverlag, 2014