Was kann Kunst?

Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Was kann Kunst? Das kann niemand wissen, denn man kann höchstens wissen, was Kunst konnte, was sie einst konnte, einst in der Vergangenheit, die diesen schönen Augenblick, den gegenwärtigen Moment, das Hier & Jetzt, schon geschluckt hat. Vorüber, vorbei ... Aber zur Kunst, gehört das utopische Potential, die Zukunft, und wenn man nicht darüber Bescheid weiß, was Kunst können wird, dann weiß man auch noch nicht, was sie kann.

Das pathetische Wort, in dem das alles befangen ist, lautet: Freiheit, und deswegen bin ich gegen eine Branchen-Lieblingsphrase, die da lautet: Kunst und Kultur sind Lebensmittel, oder im Politikerjargon: Kultur und Kunst sind Lebensmittel. Dieses Kunst und Kultur klingt wie Dick und Doof, aber während es bei Dick und Doof lustig wird, herrscht bei Kunst und Kultur dicke Luft. Bei Kunst und Kultur muss man schon bedeutungsvoll gucken und erst recht bei Lebensmittel.

Der Witz allerdings ist, dass Lebensmittel unverzichtbar sind: Und wenn einer sagen will, die Kunst ist unverzichtbar wie ein Lebensmittel, dann missversteht er die Kunst gründlich. Denn das Schöne an der Kunst ist nicht, dass alle Menschen mit ihr leben müssen, sondern dass einige Menschen ohne Kunst nicht leben wollen. Wollen. Kunst liegt in unserer Freiheit und nicht in unserer Zwangslage als endliche Geschöpfe, die wir auf Lebensmittel angewiesen sind. Kunst können wir ansehen wollen, und wir können es sehr intensiv, ja, unbedingt wollen, aber von Müssen ist zum Glück keine Rede.

Die Künstlerin, der Künstler müssen nämlich für ihre Kunst einen Raum finden, für den es in dieser Gesellschaft nur Zwischenräume gibt. Kunst müsste einen eigenen Weg finden zwischen der Wissenschaft, zwischen der Philosophie, zwischen der Politik, und vor allem zwischen der größten Macht des Zeitalters, der Macht des Geldes. "Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld", lautet der Titel eines kunstphilosophischen Pamphlets. Und im Genick hat der Künstler das Theorem vom Ende der Kunst, das ja nicht besagt, dass die Kunst einfach aufhört, sondern nur, dass sie eh weitergeht, ohne allerdings "das höchste Bedürfnis des Geistes" weiter befriedigen zu können. Für die höchsten Bedürfnisse sind Wissenschaft und Technik zuständig - was bleibt, ist Unterhaltung.

Kein Wunder, dass angesichts der Misere überkompensiert wird und die Kunst weiß Gott was alles können soll. Alle Arten von Problemen warten nur darauf, durch die magische Berührung der Kunst gelöst zu werden - wie das 1972 der amerikanische Kunstkritiker Harold Rosenberg spöttisch besorgt bemerkte. Aber wenn ein Künstler alles kann, dann verschwindet das kunstspezifische Können, also Skulptur und Malerei und dergleichen Sonderlichkeiten. Die Kunst kann dann gar nichts mehr, weil der Künstler dabei ist, gerade die Weltprobleme zu lösen - und was ist dagegen schon Malerei und Bildhauerei?