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Pensionsexperte Bert Rürup: Antrittsalter von Frauen anheben

Rasche Maßnahmen bei Pensionen sind dringend notwendig. Vor allem die Anhebung des faktischen Pensions-Alters auf 65 Jahre. Innerhalb der nächsten zehn Jahre muss das gelingen, sagt der deutsche Pensions-Experte Bert Rürup, der auch immer wieder die österreichische Regierung beraten hat.

Bert Rürup

APA/HERBERT PFARRHOFER

Mittagsjournal, 29. November 2014

Dass das gegenwärtige Pensionssystem langfristig nicht finanzierbar ist, sei hinlänglich bekannt. Und das sei es nur dann, wenn die auf Basis des geltenden Beitragsrechts erworbenen Anwartschaften ohne Erhöhung der Beitragssätze oder staatlicher Zuschüsse dauerhaft erfüllt werden kann. In Österreich seien diese Zuschüsse aber jetzt schon Lückenfüller, sagt Rürup.

Der zu frühe Pensionsantritt, das ist laut Rürup das Kernproblem. Deshalb müsse man das derzeitige Pensionsantrittsalter sobald als möglich, also im Laufe der nächsten zehn Jahre, an das gesetzliche Antrittsalter anheben. In einem ersten Schritt auf 65 Jahre, langfristig auf 67.

Frühpensionskultur als Hauptproblem

In Österreich gebe es eine viel zu weitverbreitete Frühpensionskultur weil man glaubt, "so wie der Strom aus der Steckdose kommt auch die Pension vom Staat." Diese Frühpensionskultur zu durchbrechen müsse primäre Aufgabe sein, sagt Rürup. Ein wesentlicher Schritt sei die sukzessive Anhebung des Frauenpensionsalters und Anpassung an jenes der Männer. Schließlich würden Frauen, deren Bildungsbeteiligung heutzutage höher ist als jene der Männer, mit einem früheren Abtritt in die Pension um attraktivere Beförderungschancen gebracht. Deshalb müsse man auch sofort mit einer planungssicheren Anpassung beginnen, vorstellbar sei beispielsweise eine Anhebung alle zwei Monate pro Jahr, konstatiert Rürup.

Die Bevölkerung müsse endlich verstehen, dass eine alternde Wohlstandsgesellschaft in einem umlagefinanzierten Pensionssystem länger arbeiten muss. Dies müsse zuerst in den Köpfen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber ankommen, sagt Rürup. Das Bonus-Malus-System beurteilt er als geeignetes und gutes Anreiz-Mittel für Betriebe, um ältere Arbeitnehmer länger in Betrieben zu behalten.

Systemänderung ist Frage der Verteilung

Auf die Frage hin, wie Rürup die Forderung nach der Pensionsautomatik beurteile - also wenn entweder das Antrittsalter angehoben oder die Pensionen gekürzt werden, wenn die Pensionsausgaben steigen - meint er, dass jede Änderung des staatlichen Pensionssystems eine Frage der gerechten Verteilung sei. Eine Automatik wäre lediglich eine Erleichterung, würde den Verteilungskonflikt aber nicht lösen. Dieses Verteilungsproblem zeige sich auch im Streit zwischen den beiden Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP rund um die Pensionsdebatte. Die SPÖ lehnt einen Automatismus ab, die ÖVP sieht keine Möglichkeit, an einem solchen vorbeizukommen. Damit könne die Koalition nur "sehr abgeschliffene" Kompromisse erzielen, die gegenseitige Blockade macht notwendige grundlegende Reformen unmöglich. Man könne zwar auch eine Politik der kleinen Schritte betreiben, was am Beispiel der österreichischen Pensionspolitik der letzten zwanzig Jahre aber nicht erkennbar ist.

Österreichs System wird gut bleiben, aber weniger leisten

Das Pensionskonto beurteilt Rürup als ersten transparenten und überaus wichtigen Schritt in Richtung nachhaltiger Reform. Dennoch müsse man die Systematik des Pensionskontos dahingehend ändern, als dass vor allem für Jüngere daraus ersichtlich werden muss, wie hoch die Pension in Zukunft, also unter den gegenwärtigen Bedingungen erst bei Erreichen des Antrittsalters ausfallen würde, nicht wie hoch sie jetzt ausfallen würde. Dass die Pensionen der jüngeren Generation deutlich niedriger ausfallen werden als die ihrer Großeltern, das stellt Rürup nicht in Abrede.

Rürup bezweifelt auch nicht, dass die Pensionslücke, also die Differenz zwischen Letztgehalt und tatsächlichem Pensionsbezug, signifikant größer werden wird. Zwar würde das österreichische Pensionssystem - im internationalen Vergleich - auch in Hinkunft generös bleiben, von einer Armutssicherung will Rürup aber nicht sprechen. Eine Pension sichere dann den Lebensstandard, wenn sie 70 bis 75 Prozent des entfallenden Arbeitsgehalts ersetzt. Durch das staatliche System alleine würden jüngere Generationen, insbesondere die Jahrgänge ab 1990, diese 75 Prozent "definitiv nicht mehr erreichen".

Der Koalitionsregierung traue er eine nachhaltige Reformierung des österreichischen Pensionssystems zu. Denn die Regierung wisse um die Not der derzeitigen Systematik beschied, und die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt. Angesichts der jüngsten Diskussionen über die Pensionsfinanzierbarkeit zeigt er sich allerdings skeptisch. Vielleicht sei aber auch der Leidensdruck noch nicht groß genug, denn wirklich große Reformen wurden bisher immer nur in wirtschaftlich überaus schwierigen Zeiten gemacht.