Hörspiel von Christine Nagel

Nach dem Verschwinden. Ein fiktiver Dialog mit Ilse Aichinger

Es ist still geworden um die große österreichische Dichterin. Ilse Aichinger, die am 1. November ihren 93. Geburtstag feierte, hat sich bereits vor Jahren zurückgezogen. Sie äußert sich nicht mehr.

Die Berliner Autorin Christine Nagel macht denn auch das "Verschwinden" zur zentralen Kategorie ihrer Auseinandersetzung mit Ilse Aichinger. Sie nähert sich der Dichterin behutsam und folgt mit ihrem Mikrofon den Klängen der Stadt Wien, jener Stadt, in der Ilse Aichinger den Krieg überlebte, aus der sie fortzog und erst 1988 wieder zurückkehrte.

Leerer Kinosaal (Filmmuseum)

APA,Schneider

… ich glaub, dass man auf der Welt fremd ist …

In Christine Nagels Stück wird die Dichterin wieder zu einer jungen Frau, die in Wien Arbeit als Sprecherin sucht. Sie soll für die städtischen Verkehrsbetriebe die U-Bahnstationen ansagen: Aussteigen, Einsteigen. Rechts, links. Bitte. Übungen am Rande der Selbstaufgabe. Sie wird die Studiotür ohne Vertrag hinter sich schließen und nicht zur ewigen Stimme des Wiener Untergrunds werden. Daneben tritt die reale Ilse Aichinger auf. Mit ihrer ebenso sanften wie markanten Stimme denkt sie dem Stoff des Lebens nach, stets hart an der Grenze zum Schweigen.

Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste hat Christine Nagels fiktiven Dialog im Juni dieses Jahres zum "Hörspiel des Monats" gekürt. In der Jurybegründung heißt es: "Wer sich dieses Hörspiel, diesen ‚fiktiven Dialog' anhört, bekommt Lust auf die Literatur der wunderbaren Ilse Aichinger."