Michael Pollans Naturgeschichte der Transformation

Kochen

Kochen ist die Verwandlung von Natur in Kultur. Unter diese Prämisse stellt Michael Pollan sein monumental anmutendes Buch "Kochen" vor. Darin unternimmt er einen Streifzug durch unsere kulinarische Entwicklung, beginnend mit der Steinzeit, und schildert die Spielarten unserer Küche als konsequentes Resultat unserer Evolution.

Feuer, Wasser, Luft und Erde. An diesen vier Elementen erzählt Michael Pollan seine Naturgeschichte der Transformation entlang. Pollan ist Professor für Journalismus in Berkeley und schreibt auch für die "New York Times". Schon in der Vergangenheit hat er sich immer wieder mit Themen rund um die Ernährung beschäftigt, etwa in den Büchern "Das Omnivoren-Dilemma" oder "Meine zweite Natur. Vom Glück, ein Gärtner zu sein".

Gehirn statt Verdauungsapparat

Am Anfang der Kochgeschichte steht das Feuer, also das Grillen. Auch wenn es heute ein Männlichkeitsritual scheint, von dem besonders Männer ab 40 befallen werden: Das Kochen über dem offenen Feuer hat für die Menschheitsentwicklung weit mehr bedeutet. Laut der Kochhypothese von Richard Wrangham machte es erst diese Art der Nahrungszubereitung möglich, ein großes Gehirn zu entwickeln, dafür konnten die sehr viel Energie verbrauchenden Verdauungsorgane schrumpfen, weil Gekochtes einfach leichter zu essen ist. Die Primaten verbrachten im Schnitt sechs Stunden pro Tag mit dem Kauen von zähem Fleisch.

Argument gegen Rohkost

Wir haben einen großen Verdauungsapparat gegen ein großes Gehirn eingetauscht. Was, wie Pollan entwicklungsgeschichtlich begründet, ein Argument gegen allzu viel Rohkost ist:

Einfach deshalb, weil Rohkost unserem energiehungrigen Gehirn nicht genug Antrieb liefert.

Wenn, dann perfekt

Aber Pollans Buch besteht nicht nur aus anthropologischen Einsprengseln. Es ist auch ein klassischer Quest, eine Suche - im Falle des Grillens die Suche nach dem perfekt gegrillten Schwein. Dafür arbeitet der Autor auch in einer rußigen Grillhütte in North Carolina mit und versucht zu ergründen, wie das perfekte Barbecue gelingt. Dass er seine Kochversuche immer wieder mit Zitaten aus der Kochphysik und -chemie garniert, versteht sich von selbst.

Natürlich erklärt er die Maillard-Reaktion, die für die braune Kruste auf Fleisch oder Brot verantwortlich ist und die erst die aromatischen Zuckerverbindungen möglich macht, nach denen wir alle gieren. Überraschend, aber logisch ist, dass viele dieser Zucker mit Aromen aus der Pflanzenwelt verwandt sind. Wir essen mit gebräuntem Fleisch also auch unsere pflanzliche Vorgeschichte mit.

Mehr als Theorie

Michael Pollan bleibt aber nicht in der Theorie stecken: Er bietet Nahrung für Kopf und Magen - nämlich auch ganz praktische Anleitungen, etwa wie man eine knusprigen Schwarte erhält.

Besonders brauchbar für die Alltagsküche ist das Element Wasser, sprich, das Schmoren. Dafür braucht man wenige Kenntnisse und viel Zeit. Allerdings kochen sich Schmorgerichte weitgehend von alleine. Und: man kann fast jede Art von Fleisch dazu verwenden, auch das qualitativ scheinbar minderwertige. Durch den langen Prozess des Garens in Rotwein oder anderen Flüssigkeiten wird es auf jeden Fall gut:

Dabei revidiert Pollan auch viele Vorurteile, etwa dass man Fleisch erst kurz vor dem Garen salzen soll - im Gegenteil: viel Salz soll es sein, aber schon einen Tag vorher.

Geheimnisse von Getreide und Sauerteig

Als Amerikaner startet Michael Pollan seine kulinarische Reise nach europäischen Verhältnissen bei sehr grundlegenden Schritten der Verarbeitung - und das tut dem Buch durchaus gut. Er kocht sich durch die Menschheitsgeschichte, indem er sich für jedes Kapitel seine Lehrmeister sucht.

Im Kapitel Luft bäckt er Brot und taucht tief in die Geheimnisse von Getreide und Sauerteig ein. Brot zu backen bedeutet mit Mikroorganismen zu kooperieren, mit wilden Hefen und Bakterien, die den Sauerteig besiedeln - und gefüttert und gehätschelt werden wollen. Aus dem ersten Backversuch wird eine Reise ins Innere des Korns, in Vorzüge und Nachteile von Vollkornmehl - aber auch eine Recherche in modernen Mühlen, die nur einen Teil des Getreidekorns verwerten und Kleie oder Keimling entfernen. Manches, das der Mensch über Jahrtausende gegessen hat, fällt so unmerklich von unserem Speiseplan - mit möglicherweise nachteiligen Folgen für die Gesundheit.

Für das Fermentieren unter der Kapitelüberschrift Erde legt Pollan etwa mit sogenannten Fermentos Gurken und Sauerkraut ein oder probiert im Boden gegarten isländischen Haifisch. Fermentieren ist für Pollan die höchste Stufe in der Transformation von Natur - abgesehen vom Zuschneiden und Würzen des Gemüses erledigen hier Mikroorganismen die Geschmacks- und Konservierungsarbeit. Dieses Kapitel ist ein Loblied auf die Symbiose mit Mikroorganismen. Immerhin tragen wir zehnmal mehr Bakterien in uns als wir Körperzellen besitzen - allein ein Kilo davon in unserem Verdauungstrakt.

Wohlwollende Bakterien

Bakterien, egal ob im Sauerkraut oder im Körper, sind keine Feinde, sondern Helfer, die sich mit uns entwickelt haben. So findet man zum Beispiel im Darm von Japanern Mikroorganismen, die Seetang abbauen können. In unseren Breiten gibt es dieses Bakterium nicht. Pollan greift auch die Hypothese auf, wonach Übersterilität eine große Gefahr für uns ist- für eine Spezies, die ohne es zu wissen sich mit den Mikroben weiterentwickelt. Fermentieren - das ist nicht Natur, sondern Kultur: viele Aromen sind gelernt und kulturspezifisch. Während Mitteleuropäer Käse mögen - ebenfalls ein Gärungsprodukt, ekelt Asiaten vielfach davor.

Auch das Bierbrauen gehört zum Fermentieren - das scheint Pollan aber nicht sehr gelegen zu sein. Da vergisst er im Buch schon einmal, dass man Würze auch kochen muss - aber das sei ihm angesichts der restlichen 450 Seiten verziehen.

Seine Ode an das Kochen ist einerseits eine Feier der Gemeinsamkeit, andererseits ein Besinnen darauf, dass unsere Küche die kulturelle Antwort auf die Natur, vor allem auch unsere eigene, biologische Natur ist. Pollans Buch ist ein Plädoyer für das Selberkochen und für einen natürlicheren Umgang mit Lebensmitteln, was er überspitzt so formuliert:

Service

Michael Pollan, "Kochen - Eine Naturgeschichte der Transformation", Kunstmann Verlag