Peter Burke über die Wissensgesellschaft

Die Explosion des Wissens

Die Informationsflut steigert unsere Lebensqualität nicht mehr, sagt der Historiker Peter Burke, sondern bewirkt stattdessen Stress, Ratlosigkeit und sogar Unwissenheit. Was wissen wir und woher? Wie gehen wir mit der Flut an Informationen um? Sind wir "Informationsgiganten" und laufen Gefahr zu "Wissenszwergen" zu verkommen? In seinem Buch "Die Explosion des Wissens - Von der Encyclopédie bis Wikipedia" geht er diesen Fragen nach.

Wir leben in einer Zeit der ständig abrufbaren, ständig verfügbaren Informationen. Das weltumspannende Internet liefert Wissen aus entlegensten Orten und über seltsamste Begebenheiten. Wir müssen nur zugreifen. In vergangenen Jahrhunderten war das Sammeln von Informationen, das Bewahren von Wissen und das Verbreiten desselben um einiges schwieriger. Der Kultur- und Medienhistoriker Peter Burke hat sich auf die Suche gemacht.

Burkes Kulturgeschichte des Wissens schließt zeitlich an sein Buch "Papier und Marktgeschrei" aus dem Jahr 2001 an, das den Bogen von Gutenberg bis Diderot schlug, also vom Buchdruck bis zur Aufklärung. Wissen sammeln, analysieren, verbreiten, anwenden. Wissen verlieren und Wissen teilen. So lauten die Kapitelüberschriften der ersten beiden Teile des Buches.

"Sich auf den Weg machen"

Akademiker nennen das Forschung, schreibt Burke weiter. Forschung bedeutet aber nicht nur ein Recherchieren in Archiven, sondern auch das "Sich auf den Weg machen", Feldforschung betreiben, nach Artefakten suchen. Museen und Bibliotheken waren und sind Orte des Wissens, auch wenn so manches Ausstellungsstück mit fragwürdigen Mitteln erworben wurde, vor allem im 19. Jahrhundert.

Informationsbeschaffung

Beobachten, zuhören, aufschreiben, aber auch verhören: Der Autor gibt einen Überblick über die Mittel zur Informationsbeschaffung. Doch was tun mit der Fülle an Informationen? Klassifizieren, bewerten, beschreiben. Der Großteil unseres Wissens steckt zwischen Buchdeckeln. Die großen Bibliotheken fungierten lange Zeit als Gehirne der Gesellschaft. Der Autor konzentriert sich über weite Strecken seines Buches auf Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und die USA, ab und zu gibt es aber auch Abstecher nach Latein- und Südamerika. Etwa zu einem Meister der Beschreibung, Euclides da Cunha, aus Brasilien, der 1902 mit "Os Sertões" ein Standardwerk im soziokulturellen Bereich geschrieben hat.

Bildung und Wissen gelten seit jeher als Schlüssel zu beruflichem Erfolg und gesellschaftlichem Ansehen. Wie Wissen verteilt und weitergegeben wurde und wird, ist daher ein besonders spannender Aspekt. Die Zeitungen, in engem Zusammenspiel mit Nachrichtenagenturen, spielten hier immer schon eine wichtige Rolle.

Spannend auch die Kapitel über die Zusammenhänge zwischen Krieg und Wissen, bzw. Unwissen, und über die Rolle der Staaten, der Regierungen, der Meinungsträger und Elite. Angekommen in der Gegenwart beschäftigt sich Peter Burke freilich auch mit dem Internetlexikon Wikipedia, das er prinzipiell für eine gute Sache hält. Doch die Grenze zwischen echtem und unechtem Wissen, nützlichen und unnützen Informationen, zwischen Wissenschaft und Pseudoforschung ist oft schwierig zu erkennen und verschiebt sich immer wieder.

"Reichtum an Information schafft Armut an Aufmerksamkeit"

Insgesamt ein informatives Buch, das viele Bereiche der Wissensindustrie gut erklärt, Zusammenhänge aufzeigt und dem wissbegierigen Leser mit zahlreichen Querverweisen neue Türen öffnet. Doch ob der überquellenden Fülle der Aspekte und Blickwinkel, wird manches nur gestreift und geht über Allgemeinplätze kaum hinaus. Dennoch, der Autor weiß viel und hat für sein Buch über das Wissen recht umfassende Forschung betrieben, davon zeugt auch ein ausführlicher Anhang mit Anmerkungen, Bibliografie und Namensregister. Ein Stichwortverzeichnis wäre allerdings, aufgrund der sehr allgemein gehaltenen Kapitelüberschriften, sicherlich von Vorteil gewesen.

Auf Englisch heißt das Buch schlicht "A Social History of Knowledge", der deutsche Titel "Explosion des Wissens" ist leider nicht ganz gelungen, geht es doch in diesem Buch eher um das Überangebot an Informationen und den Rückgang, den Verlust von wirklichem Wissen.

Service

Peter Burke, "Die Explosion des Wissens - Von der Encyclopédie bis Wikipedia", aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian Wohlfeil, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014