Von Dalia Grinkeviciute

Aber der Himmel - grandios

Hat Leiden je einen Sinn? Die ideologisch grundierte Verordnung von Leiden jedenfalls hat keinen Sinn. Davon berichtet die 1927 in Litauen geborene und 1991 gestorbene Dalia Grinkeviciute in ihrem Bericht aus dem Gulag "Aber der Himmel - grandios".

"Ein überwältigendes literarisches Zeugnis, das die Qualen der sowjetischen Deportationen vor dem Vergessen bewahrt."

Etwa 23. 000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, wurden allein aus Litauen in die östlichen Teile der UdSSR verbracht, nachdem die Sowjetunion 1940 infolge des Hitler-Stalin-Paktes die baltischen Staaten annektiert hatte; nur wenige von ihnen überlebten - unter ihnen die damals vierzehnjährige Dalia Grinkeviciute, die im gefährlichsten Verbannungsgebiet, an der Küste der Arktis, landete.

1949 kann sie von dort fliehen und einige Zeit illegal in Litauen verbringen. Im Versteck schreibt sie ihre Erlebnisse während der Verbannung auf lose Blätter, die sie dann im Garten vergräbt. Bald wird sie vom KGB verhaftet und wieder deportiert. Nach Stalins Tod kommt sie 1954 frei, kann Medizin studieren und als Ärztin in einer Provinzstadt arbeiten; ihre Aufzeichnungen bleiben unauffindbar.

Als sie 1974 von ihrer Arbeit suspendiert wird, schreibt sie ihre Erinnerungen erneut auf - und dank der prominenten Dissidenten Andrej Sacharow und Jelena Bonner erscheinen sie 1979 in einer Moskauer Untergrundzeitschrift. 1988 - ein Jahr nach dem Tod von Dalia Grinkeviciute - können sie in Litauen erscheinen und haben eine enorme Wirkung. Und 1991 geschieht das Unglaubliche: Die vergrabenen Jugendaufzeichnungen werden gefunden, können restauriert und lesbar gemacht werden und werden 1997 publiziert. Und jetzt liegen sie, versehen mit Zeittafel, Glossar, Abbildungen der Originalhandschrift und einer Landkarte des Weges in die Verbannung - auf Deutsch vor.

Vytene Muschik, die die Autorin noch persönlich kennenlernen konnte, hat die Aufzeichnungen adäquat in eine schnörkellose Sprache übertragen. Grinkeviciute verfügt über die Sprache, den ganzen Schrecken der vielfachen Tode von Kindern, Frauen und Männern, von Krankheiten, Eis und Polarfinsternis darzustellen, weil sie in quälender Deutlichkeit bei den Einzelheiten bleibt und sich in ihren sehr reduzierten Aufzeichnungen auf das beschränkt, was sie selbst sieht und hört, an ihrem eigenen Körper erfährt und zu denken vermag.

Die deutsche Ausgabe trägt den wunderbaren und präzise zum Text passenden Titel "Aber der Himmel - grandios", denn an wenigen Stellen steht den täglichen Qualen die Provokation einer wunderbaren Natur entgegen. Die Autorin lässt einen immer wieder den Atem anhalten, weil sie gegen alles Erwartbare und ganz ohne Vorurteile schreibt, ohne den Impuls des Hasses und der Rache, geleitet nur vom Bemühen, festzuhalten, was sie erleben muss, und es zu verstehen.

Es ist der Übersetzerin und dem Verlag nicht genug zu danken, dass es dieses Buch endlich auf Deutsch gibt. Schade nur, dass der Text offenbar keinen Korrektor gesehen hat. Der formal verwahrloste Text steht in Kontrast zur sonst so sorgfältigen Ausgabe. Er ist allerdings so stark, dass er auch diese Malträtierung übersteht.

Service

Dalia Grinkeviciute, "Aber der Himmel - grandios", aus dem Litauischen von Vytene Muschick, Matthes & Seitz Verlag